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Dienstag, 18. Oktober 2011

Pierre Schaeffer und seine musique concrète

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F. Bayle, P. Schaeffer, B. Parmegiani ©Laszlo Ruszka
Konkrete Musik? Was sagt uns die Überschrift? Was soll das sein?

Es sind die Anfänge einer heute sehr populären Kompositionsmethode, nämlich dem Sampling. Schon lange werden Alben gemacht, die komplett aus Samples bestehen. Ganze Musikrichtungen bauen darauf auf, aber wie kam es überhaupt dazu? Wer ist zum ersten Mal auf die Idee gekommen, Alltagsgeräusche zu verfremden und daraus Musik zu komponieren? 

Ganz frühe Aufnahmen aus den 40ern zu hören, einer Zeit, in der diese Art der Komposition noch vollkommen unbekannt war, finde ich ungemein spannend, weil die komplette Neuheit fast greifbar scheint. Der Namensgeber und Pionier heißt Pierre Schaeffer, ein Ingenieur, der sich kurz nach dem 2. Weltkrieg beim französischen Rundfunk austoben durfte.



Weil ich es selber nicht besser ausdrücken kann, hier ein umfangreicher, präziser Abriss aus fremder Feder für euch:
Musique concrète entsteht in der Umkehrung des traditionellen Kompositionsverfahrens: Während dieses ausgeht von vorgestellten Klängen und Klangstrukturen und diese in einer Notation fixiert, nach deren Maßgabe eine konkrete klangliche Realisierung entstehen kann, geht die musique concrète von konkreten Klangphänomenen aus, die als Schallaufzeichnungen gespeichert sind und im Studio weiter verarbeitet werden können, was die Bildung abstrakter musikalischer Zusammenhänge erlaubt.
Die "Musik im gewohnten Sinn", die "sogenannte abstrakte" Musik, führt nach Schaeffer von der (geistigen) Konzeption über die Niederschrift zur instrumentalen Ausführung, während die von ihm begründete konkrete Musik ausgeht von der Bereitstellung von Klangmaterialien, diese im Stadium des Experimentierens und in Verbindung mit Skizzen aufarbeitet und auf dieser Grundlage eine (materielle) Komposition realisiert; die erstere Musik führt also vom Abstrakten zum Konkreten, die letztere vom Konkreten zum Abstrakten (Schaeffer 1967 /dt.1974, S. 19).
Diese von der Kompositionsweise ausgehende Definition ist umfassender als der vor allem in den frühen fünfziger Jahren vorherrschende Sprachgebrauch, der sich an den verwendeten Klangmaterialien orientierte, wobei die musique concrète durch vorgefundene, mit dem Mikrophon aufgenommene Klangmaterialien charakterisiert wurde (im Unterschied zur elektronischen Musik, die von synthetischen, im Studio erzeugten Klängen ausgeht). Da sowohl für konkrete als auch für elektronische Klänge bereits in den fünfziger Jahren differenzierte Möglichkeiten der klanglichen Verarbeitung entwickelt wurden, so daß bei der phänomenologischen Beschreibung der verarbeiteten Klänge die Bestimmung der Herkunft der Ausgangsklänge sekundär oder unmöglich werden kann, hat Pierre Henry für konkrete und elektronische Musik die zusammenfassende Bezeichung "elektroakustische Musik" vorgeschlagen.
Im Kontext elektroakustischer Musik bestimmt sich konkrete Musik im umfassenden, nicht auf die Produktionsbedingungen der frühen 50er Jahre eingegrenzten Sinne als Musik, die in empirischer Behandlung von technisch konservierten und verarbeiteten (insbesondere auch von technisch produzierten) Klangmaterialien komponiert wird entsprechend folgenden 1957 formulierten Postulaten Schaeffers:
1. Vorrang des Ohres,
2. Bevorzugung der realen akustischen Quellen, für die unser Ohr weitgehend geschaffen ist (und insbesondere Ablehnung einer ausschließlichen Zuhilfenahme elektronischer Klangquellen),
3. Erforschung einer Sprache.
Die in diesen Postulaten implizierte operative Neubestimmung der konkreten Musik als "experimentelle Musik" verbindet Schaeffer mit der Neubestimmung ihrer Klangforschung und kompositorischen Praxis in 5 Regeln: 1. Hören von Klangobjekten aller Art, 2. Realisation neuer Klangobjekte, 3. Bildung musikalischer Objekte durch technische Verarbeitung von Klangobjekten, 4. Realisation von Klangstudien, 5. freie klangforscherisch-kompositorische Studioarbeit (Schaeffer 1967/dt. 1974, S. 30 f.).

Was Pierre Schaeffer 1948 eingefallen ist, wirkt heute wie billige Spielerei. Die bloße Idee ist die größte Leistung daran. Nur wenigen gelingt es wirklich neu und innovativ zu denken, ohne auf alte Muster zurückzugreifen. Hier hört ihr die erste fertigestellte Collage namens 'etude aux chemins de fer', deutlich hörbar Aufnahmen von Zuggeräuschen (damals noch Typ schnauffende Dampflok).


Und auch wenn es aus heutiger Sicht lächerlich anmutet - mit den Mitteln der 40er Jahre ist das eine beeindruckende technische und kreative Leistung.

In den 40ern war er übrigens nicht allein mit solchen Experimenten. Vier Jahre zuvor war Halim El-Dabh der erste, der mit elektronischer Verfremdung von Aufnahmen experimentiert hat. Hier hört ihr eine verfremdete traditionelle ägyptische Zeremonie (man verzeihe mir an dieser Stelle das Unwissen über traditionelle ägyptische Zeremonien). Das Original war übrigens 20-25 Minuten lang, aber wir können schon froh sein diesen 2 Minuten-Schnipsel zu haben.


Dazu der Autor selbst:
I just started playing around with the equipment at the station, including reverberation, echo chambers, voltage controls, and a re-recording room that had movable walls to create different kinds and amounts of reverb." He further explains: "I concentrated on those high tones that reverberated and had different beats and clashes, and started eliminating the fundamental tones, isolating the high overtones so that in the finished recording, the voices are not really recognizable any more, only the high overtones, with their beats and clashes, may be heard.
- Halim El-Dabh 
Elektronische Musik ohne Computer zu machen wäre mal so richtig Retro. Ich bin sehr unwissend auf dem Gebiet elektronischer Musik, aber ich habe das Gefühl die technische Vereinfachung und Gleichschaltung (Apple) hemmt den kreativen Moment. Falls jemand Tipps hat, ich würde gerne neue Sachen von Künstlern hören, die es schaffen auf analogem Wege interessante elektronische Musik zu erzeugen.

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