Tante Pop

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Freitag, 15. Juli 2016

"Fotzenfenderschweine" von Almut Klotz

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Die Erwartung ist klar – irgendwie autobiografisch, vielleicht irgendwelche alten Lassie Singers/Berlin-Popchor-Flittchenbar-Geschichten, oder Schwänke aus der Jugend. „Das schöne Leben", Christiane Rösingers Autobiografie, spukt im Hinterkopf herum. Alles das bleibt im Großen und Ganzen eine Nebensache. Das Buch ist im Grunde nicht ihre Biografie, sondern die von Reverend Christian Dabeler, mit dem Almut Klotz gut 10 Jahre liiert war.

Vielleicht wollte sie auch über all das andere (mehr) schreiben, aber die Krankheit hatte ihr nicht viel Zeit gelassen. Es schien ihr das wichtigste Anliegen gewesen zu sein, den Reverend detailliert (und schonungslos) einem größeren Publikum vorzustellen. Ein Mensch, der von sich selbst behauptet immer übersehen zu werden. Almut Klotz wird diese vielleicht etwas zu paranoide Auffassung nach ein paar Jahren des Zusammenlebens teilen. Tatsächlich arbeitet das Buch sehr schön die Unterschiede beider Charaktere und ihrer Umfelder heraus.
Auf der einen Seite steht die narzisstisch durchdrungene ‚Indieszene‘, mit ihrem teilweise etwas schrägen Coolness- und Außenseiterimage, das es zu pflegen gilt. Auf der anderen Seite der Reverend, der es vorzieht professionell zu arbeiten und ansonsten gerne steile, plakative Thesen vertritt.
„Frauen haben‘s gut. Die müssen einfach nur sein. Zum einen zeigt sie [die Ansicht] die schlichte Denke, die Reverend oft hat; zum anderen muss ich heimlich lachen, wenn ich mir vorstelle, man würde das auf einer Party, in einer Podiumsdiskussion oder bei der NDR-Talkshow zu Barbara Schöneberger sagen. Die Leute würden ausflippen! So was darf man heutzutage nicht nur nicht sagen, sondern auch garnicht mehr denken!
Und dafür liebte ich Rev dann doch wieder.
Und ganz ehrlich, wenn man es anders ausdrückt, klingt es auch gar nicht mehr so unglaublich. Es ist wahr, dass Frauen sich nicht so sehr über Beruf und Karriere definieren wie Männer. Das darf man gerade noch sagen. Weiter: Wenn Frauen keinen Bock mehr auf ihren Job haben oder keinen Bock, ihre Ausbildung zu Ende zu machen, werden sie halt schwanger und sind für ein paar Jahr das Problem los. Das darf man schon nicht mehr sagen, ist aber trotzdem wahr. Weiter: Frauen sind nicht so ehrgeizig, sind oft sogar faul und verlassen sich auf Männer. Musikkolleginnen haben sich oft beklagt, warum es so wenige Musikerinnen gäbe. Neben allen Steinen, die ihnen von den bösen Jungs in den Weg gelegt werden, kommt es aber nie zur Sprache, dass kaum ein Mädchen sich mit seinem Instrument, seinem Sound mal richtig beschäftigt und übt, sodass sie mit ihrer Band weiterkommen könnte. Nein, sie macht ein Mädchenduo, wo dann beide auf niedlichen Geräten rumdrücken und dazu ein bisschen singen. Bei Soundchecks wissen Musikerinnen oft nach Jahren nicht, wie sie ihren Sound einstellen sollen und jammern über die gemeinen Feedbacks, die enstehen.
Ich will mich gar nicht ausnehmen. Als ich vor ein paar Jahren in Ludwigsburg im JuZ aufgetreten bin, war mein Bruder da. Hinterher sagte er zu mir, freundlich und verständnislos: „Mensch, wenn ich so viele Jahre auf der Bühne stehen würde wie du, hätte ich aber schon mal richtig gelernt, Gitarre zu spielen.“
Daran habe ich lange denken müssen. Weil da eben genau dieser Unterschied drinsteckt.
Seite 80 f.
Wegen Textpassagen wie dieser ist das Buch ein harte Prüfung für alle Beteiligten. Der Reverend muss bei aller Lobhudelei auch viel einstecken. Der linke Verbrecher Verlag hat es veröffentlicht, auch wenn diverse im linken Spektrum eher wenig konsensfähige Meinungen vertreten werden. Und schließlich wird der mutmaßlichen Leser*innen-Klientel viel an diesen teils befremdlichen Aussagen zugemutet, die in der Indieblase Seltenheitswert haben.
Genau deswegen ist die Veröffentlichung so wertvoll. Klare Worte werden in alle Richtungen verteilt. Und doch scheint es so, als habe der Reverend in der gemeinsamen Zeit ordentlich abgefärbt.
Da lebt man seit zwanzig Jahren in Berlin und denkt, man wäre die Creme de la Boheme, und dann kriegt man durch die Perspektive eines anderen [Reverend] plötzlich mit, wie saturiert man eigentlich geworden ist und wie piefig diese Indie-Avantgarde sein kann.
Seite 97 f.
In jedem Kapitel geht es um den Reverend, eingebettet in die eigenen biografischen Episoden von Almut Klotz. Es sind seine Empfindsamkeit, das Übersehenwerden, und eben die ganzen Ansichten, die sich so sehr mit ihrer eigenen Sozialisation in Berlin beißen. Es ist die nahezu verzweifelte Suche nach Gemeinsamkeiten, selbst nach Jahren der Beziehung.
Reverend sagte oft: „Dir reicht ja schon die Idee. Die Ausführung ist für dich gar nicht wichtig.“ Und das traf es genau.
Seite 81
Diese Aussage bezüglich des Musikschaffens scheint treffend zu sein, und ist interessanterweise die Umkehrung eigentlich aller anderen Ansichten im Text. Der Reverend ist voller Meinungen und Theorien (die, so wie sie von Almut geschildert werden, oft an der Grenze zur Verschwörungstheorie kratzen, oder auch mal die Grenze überschreiten), aber im wirklichen Leben mit vielen Menschen überfordert, während es bei ihr umgekehrt der Fall ist.

Dem Reverend fehlt es nicht am alllgemein verbreiteten Kunstschaffendennarzissmus, aber er hat es nie geschafft ihn ausreichend zu befriedigen (laut Buch, wer weiß wie es sich in der Realität darstellt). Ihm einen Großteil ihrer Autobiografie zu widmen ist deshalb, trotz einiger schonungslosen Darstellungen, ein schönes Geschenk von Almut Klotz an den Reverend.

Mögen manche Aussagen auch befremden – das Buch ist durchaus unterhaltsam und offenbart eine erfrischende Perspektive auf einen interessanten Menschen aus Hamburg und den Indieschmonzes in Berlin. Und dazwischen Almut Klotz, die mit dem Reverend alt und glücklich hätte werden sollen. Scheißkrankheit.




PS: Ja, während des Lesens und Schreibens liefen alte Lassie Singers-Alben. Es ging nicht anders.
a) Die Rest of Lassie Singers hat eines der tollsten Booklets in der Geschichte von CD-Booklets. Die sollte wirklich mal öfter aus dem Schrank geholt werden.
b) Weit weniger kreativ als ‚Fotzenfenderschweine‘, aber sehr passend hätte das Buch natürlich auch „Ich glaub ich hab ein Faible für Idioten“ heißen können.
c) oder wahlweise „Wer keinen Sitzplatz kriegt, muss immer stehen.“


Dienstag, 5. Juli 2016

Crowdfunding: "Digital Slave" von Pollytikk

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Die gute alte Albumfinanzierung per Crowdfunding hat ein Problem: wahnsinnig viele Projekte, und die lohnenswerten rauszupicken ist mühsam. Wir haben in der Vergangenheit schon das ein oder andere empfohlen, und es ist mal wieder an der Zeit die Aufmerksamkeit eine Crowdfunding-Aktion zu lenken. Pollytikk macht schöne Musik, aber das Geld für ein professionell produziertes Album in Berlin per Gagen zu verdienen ist so utopisch wie ein klassischer Plattenvertrag für das (noch) ganz unbekannte Projekt. Außerdem ist sympathisch, dass von dem Geld auch die Studiomusik*innen bezahlt werden sollen. Das ist ja leider nicht selbstverständlich.



Die Summe von mindestens 4500€ ist ambitioniert, aber nötig. Dass das Album absolut hörenswert wäre, ist ziemlich sicher. Es möge hiermit empfohlen sein eine kleine, risikolose Vorfinanzierung zu leisten.


Wer nicht ganz die Katze im Sack kaufen möchte, kann sich durch diverse Demos hören:



promo picture: ©Perdo Pina-Vasconcelos