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Samstag, 3. März 2012

Kleinode deutschsprachiger Musik (41): Hans Unstern - Anglet (2010)

1 Kommentar :
In einer losen Serie stelle ich Werke vor, die vordergründig eines gemeinsam haben: Sie wurden in deutscher Sprache verfasst. Das alleine ist natürlich keinerlei Qualitätskriterium. Nein, mich interessiert ein kreativer Umgang mit selbiger.

Hans Unstern / Promo
Hans Unstern ist schon ein Phänomen. Ganz unscheinbar tauchte er zwischen den ganzen angesagten Indie-Bands auf. Er ist einer von ihnen und doch so ganz anders als alles andere, was man dieser Jahre an aktueller Musik hören kann. Als sein Debütalbum Kratz dich raus erschien beeindruckte mich das Werk zutiefst. Das war aber noch nichts im Vergleich zu seinen Konzerten. So etwas habe ich noch nicht erlebt - es waren großartige Collagen der Lieder des Albums, perfekt insziniert und qualitativ Lichtjahre entfernt von allem was so Indiemusiker sonst auf Bühnen veranstalten. Dem Lied 'Anglet' möchte ich in dieser Serie eine nähere Betrachtung widmen.

Wie ich damals in der Albumkritik schon äusserte ist es eigentlich falsch etwas herauszugreifen, weil das Gesamtwerk das Faszinierende ist. Aber nach den vielen Shows und dem wiederholten Genuss des Albums scheint es mir möglich einige der Stücke herausgelöst aus diesem Kontext hören zu können. Bei 'Paris' war das schon immer so. Dieses Lied funktioniert immer einzeln, selbst wenn Herr Unstern nur mit einer Spieluhr in der Hand, welche mit dieser einfachen Melodie bestückt ist auf der Bühne steht und es singt. 'Anglet' wiederum wirkt auf mich wie eine Zusammenfassung des Albums, denn es verdichtet unterschiedlichste wiederkehrende Ideen auf ein Lied. Die Sätze sind abstrakt, beim ersten Höreindruck wirken sie nahezu willkürlich zusammengefügt, wie zufällig ausgewählte Gedankengänge aus einem Notizbuch. Es hat was von den Gedanken, die einem so in Aufwach/Einschlafphasen in den Kopf schießen.

Mir gefällt, wie sich aus diesem scheinbaren Chaos alles zusammenfügt. Im letzten Teil des Liedes findet sogar ganz konservativ Gesang statt. Und mir gefällt, wie ich schon bei der Album-Kritik erwähnte, seine einzigartige Sprache. Es zeigt, man kann viel aus der deutschen Sprache machen, nur die wenigsten tun es. Hans Unstern ist einer der wenigen. Wenn man dem Text bewusst zuhört entfacht sich ein Feuerwerk an schrägen, wunderbaren Bildern im Gehirn.

In Konzertlänge ist das wohl fast eine LSD-Erfahrung, wage ich zu behaupten, ohne einen Vergleich zu haben. Er tourte sehr ausführlich mit dieser phänomenalen Darbietung seines ersten Albums, hat das allerdings 2011 mit einem fulminanten Abschlusskonzert in der Berliner Volksbühne abgeschlossen. Ich bin wirklich mehr als gespannt was er zukünftig an neuem Material darbieten wird.Hoffentlich braucht er nicht wirklich, wie in 'Anglet' verkündet 3 Monate pro Lied. Andererseits, die Kompositionen sind so raffiniert - mir ist lieber ich muss noch 2 Jahre auf das Album warten als das er sich einfach wiederholt.

Dieses Video hier von 'Anglet' ist schon eine der besten Aufnahmen von einer Livedarbietung der Band - es wirkt aber komplett aus dem Kontext gerissen. Trotzdem lohnt es sich diesen Ausschnitt anzuschauen. Es vermittelt zumindest eine ungefähre Vorstellung, wieviele Eindrücke zeitgleich auf die Zuschauer niederprasselten.

Mein Leben hangelt sich an Autobahnen entlang Automobile hasse ich mehr als alles Werd mir einen Zebrastreifen malen Wie sie ihrem Ziel entgegen rasen Wie sich auf der Überholspur Penisse jagen Mein Blick verbeugt sich mehr und mehr Aus dem Straßengraben befühle ich die Dinge neu Ich liege so krumm und falte mir die Ohren dicht Nachts ist manchmal für fünf Minuten Ruhe Über mir die Frau im Mond doch ihr Glänzen steckt im Stau Ich habe vertrocknete Tinte für ein dickes Buch im Bauch Blei auf der Stirn und Rost unter den Augen Der Weg ist denkbar ausschließlich Ich murmele einige Bartworte auf mein Blech überwuchert von Planken und Heulen Wieder ein Jahr Ich friste den Winter mit Schreiben für Klarinette Der wärmste Klang den ich mag Es darf nicht jeder Ton vorkommen Es braucht Zeit Ein Stück schreibt sich in so drei Monaten wenn ich Glück habe zwei bis zum Grün Wenn die Frösche zur Wanderschaft rufen habe ich bald Freunde die mit grossen Augen ohne Sorge Geisterbahnfahrer beschwören Ich sehne das Fest herbei Am Ende der Storchenwiese feiern wo ich liege Wir basteln Flügel aus Unrat Hitzesommerpolaroids von Ellenbogen ueber sonnendurchglutetem Teer Für meine Glasfasergalerie im Spinnennet sammle ich robbend Zigarettenstummel um von dem Pfand die Maut zu zahlen Ein Ellenbogen wäscht den andern Im Herbst halte ich Winterschlaf umgeiert von Raben über mir wie fettes Laub Ich habe einen Deal mit den Ratten des naheliegenden Abortes Sie bringen mir siebzig Kilo Kastanienlaub und ich verrate ihnen in welcher Karosse Kokain lagert Urlaub unter Laub In der fünften Jahreszeit der schwierigsten im Graben verharre ich im Lunayoga Es funktioniert im Liegen und ist lebensnotwendig wo angestaunte Touristen meinen Tod diagnostizieren

1 Kommentar :

  1. Poesie, wie sie durch Haut und Knochen fährt. Wenn sie sich mit Musik verbindet - Schön, schön, wunderschön!

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