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Freitag, 9. September 2011

Bernd Begemann & Die Befreiung - Wilde Brombeeren

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Bernd Begemann & Die Befreiung - Wilde Brombeeren (VÖ 09/2011)
Der Bernd ist wirklich keiner, der gerne stehen bleibt. So ist es auch zur schönen Regelmäßigkeit geworden, dass Alben von ihm erscheinen. Der Bernd ist jemand, der gerne Musik macht, die es vorher nicht gab. Das klingt unmöglich, wenn man nicht gerade Einstürzende Neubauten heißt und das Jahr 1980 ist, aber im popmusikalischen Rahmen schafft er es tatsächlich jedes Album frisch erscheinen zu lassen.

Unlängst wurde eine der ältesten Aufnahmen von ihm veröffentlicht, nämlich das niedliche Lied 'Kleine Begebenheiten vor der Paketfabrik' von 1982. Mittlerweile ist sein Œuvre durch 30 Jahre Liedermacherei auf viele hundert Werke angestiegen.

Die Musik hat nie was revolutionäres, auch wenn er schon durch so ziemlich alle möglichen und unmöglichen Stilrichtungen gewildert hat und das auch auf dem neuesten Werk Wilde Brombeeren gerne tut, aber bei seinen Texten sucht man oft vergebens nach Referenzen. Der große Rahmen diesmal ist unoriginellerweise Liebe & Gesellschaft. Liebe wurde z.B. schon auf dem Album Endlich von 2000 ausführlich abgehandelt. Es gibt Parallelen zwischen den Alben, aber während auf Endlich eher unerfüllte Sehnsucht und Enttäuschung thematisiert werden (wie im wundervollen Lied 'Ich kann dich nicht kriegen, Kathrin'), herrscht auf Wilde Brombeeren eher Aufbruchstimmung und Bösartigkeit. Das Thema Gesellschaft war erst auf dem letzten Album Ich erkläre die Krise für beendet das Thema. Es hat mit dem neuesten Werk vor allem jene Aufbruchstimmung gemeinsam. Die Aufbruchslieder gefallen mir von ihm am meisten. Die deutschsprachigen Liedermacher heulen sich momentan kollektiv und auch gerne gegenseitig auf die Turnschuhe, aber Bernd Begemann widersteht dem Emo-Trend und geht den optimistischen Weg.

Kommen wir aber endlich zum Inhalt. Die Texte sind mit seine besten überhaupt. Das von mir so sehr geschätzte Talent Leute...ganz bestimmte Leute, einem wohl vertraute Typen, verbal nacktzuscannen, und das alles so auf den Punkt zu bringen, dass es in einen 3 Minuten Popsong passt. Nach dem Genuss des Albums habe ich mich gefragt, warum 'Gib mir eine zwölfte Chance' das Video-Aushängeschild ist. Gut, es ist wirklich sehr eingängig, aber meiner Meinung nach fast der schwächste Text vom Album. Das kann Bernd deutlich besser. Es ist trotzdem sehr sehenswert, wo sonst bekommt man einen Morrissey für Fleischesser-Verschnitt in Blinkelichter-Sparoptik. Das Ende scheint eher durch halluzinogene Drogen, Donnie Darko oder 'Was ist das räudigste Karnevalskostüm, das ihr habt? inspiriert zu sein.


Am Thema Gentrifizierung arbeiteten sich schon diverse Künstler ab - das gibt ein Management-Bienchen in Zeugnis, denn so geht Zielgruppenorientierung. Bernd Begemann kann das auch, bleibt aber nicht so an der Oberfläche hängen wie andere, sondern skizziert Bewohner und Wirkungen sehr treffend, wie in 'Slums von Eppendorf'. In 'Teil der lebendigen Stadtteilkultur', dass thematisch anverwandt ist, heißt es:
Ein Spielplatz wo Erwachsene sich selber belohnen, statt Schäufelchen Touchdisplaytelefone, statt Keksdosenhasen Umhängetaschen mit ironischen Aufdrucken - Abwechslung pur.

Den sehr unmissverständlichen Texten werden eher kryptische entgegengesetzt. Das ist eine sehr angenehme Mischung, denn ein Album voller Gesellschaftskritik ist inhaltlich natürlich gerechtfertigt, künstlerisch aber nicht unbedingt wünschenswert. Aus dem Titelstück wird so ohne weiteres nicht so richtig schlau, oder anders gesagt, es lässt viel Spielraum für an dieser Stelle unnötig lange Analysen, wie auch das düstere 'Beschädigt', das seine Geschichte nicht direkt ausspricht, sondern nur zwischen den Zeilen offenbart. Ähnlich schwer durchdringbar bleibt 'Nach dem Wiederaufbau (blieb das Land zerstört)':
[...]Nach dem Wiederaufbau blieb das Land zerstört und das habt ihr hier zuerst gehört.
Krieg ist bloß eine gewalttätige Gruppenreise mit reklamierenden Toten.
Jesus war vielleicht nicht mehr als bloß ein Posterboy mit gecasteten Geboten.
Ruf deinen Frisbeehund zurück, er springt so tragisch.[...]
Es befindet sich ein weiteres Titelstück auf der CD, und zwar mit dem Titel des letzten Albums Ich erkläre diese Krise für beendet. In dem Lied treffen Harmoniesucht und Streitlust in Liebe aufeinander, und der Harmoniesüchtige meidet den Konflikt mit eben jener Ansage. Schön. So sollte das funktionieren.

Die Gattung 'ehrliches, ungebrochenes Liebeslied' wäre dann auch noch vorhanden, eine weitere Domäne von BegeBernd. 'Du wirst mein Süden sein' ist ein Highlight des Albums. Ebenfalls Hitverdächtig, weil ziemlich eingängig, wirkt 'Dein Trotel-Freund meint', ein ziemlich böses Werk über einen verblendeten Mann...man kennt das, aus welcher Perspektive auch immer.

Alles in allem gehen die gut 35 Minuten zu schnell rum, aber wer nicht genug bekommt kann gratis auf Repeat an seinem CD-Player drücken oder einfach eine sinnvolle Investition tätigen und zu einem der zahllosen Konzerte von Bernd Begemann (und teilweise mit Die Befreiung) zu gehen, der sich ähnlich wie Bob Dylan gefühlt auf einer Never-Ending-Tour befindet, nur weniger weltweit.

Das Album ist seit September im Handel erhältlich und sollte regulär erworben werden, z.B. beim Label selbst.

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