happiness is a warm gun

Die Abenteuer der Tante Pop 2011-2016. Powered by Blogger.

Sonntag, 12. Februar 2012

Kleinode deutschsprachiger Musik (40): Linie 1 - Wilmersdorfer Witwen (1986)

Keine Kommentare :
In einer losen Serie stelle ich Werke vor, die vordergründig eines gemeinsam haben: Sie wurden in deutscher Sprache verfasst. Das alleine ist natürlich keinerlei Qualitätskriterium. Nein, mich interessiert ein kreativer Umgang mit selbiger.

Quelle: www.musicalszene.de ©GRIPS Theater/Harald Breustedt
Diesmal also ein Musical - das heißt nicht irgendeines, sondern eines der schönsten überhaupt - Linie 1. Es ist natürlich nicht ganz einfach bei einer zusammenhängenden Erzählung ein Lied rauszugreifen, aber bei Linie 1 können die meisten Lieder ganz gut für sich stehen.

Viele mögen denken, ein 25 Jahre altes Musical über Berlin hat keinen Bezug zur Gegenwart, aber das stimmt nicht. Ich weiß nicht ob ich das beruhigend oder unberuhigend finden soll, dass sich bei allen äußerlichen Veränderungen eigentlich sehr wenig ändert.

Das Lied wollte ich schon lange dabeihaben, doch just als ich anfangen will zu schreiben ereilt mich dieses Video und ich denke, potzblitz! SO sehen die Wilmersdorfer Witwen heute aus! Aber es gibt auch noch Originale (oder täuschend echte Kopien) - die kann man nach wie vor in Westberlin bewundern, allerdings in Gegenden, die die hippen Kreuzköllner nur aus mystischen Erzählungen kennen. Dort herrscht auch heute noch dieses piefige CDU-irgendwas, das sich über alles legt und diesen ganz eigenen Charme der 80er Jahre erhält. Es ist schon ein Witz der Geschichte - der einst runtergekommene Osten wurde dank seiner Runtergekommenheit total hipp, während der einst moderne Westen unhipp bleibt und deswegen immer weiter verfällt. Gut, verfallen ist nicht das richtige Wort, es ist vielmehr eine Zeitblase.

Mir wird das immer vor Augen gehalten, denn mein Ausblick aus dem Fenster beinhaltet seit langer Zeit den drehenden Mercedes-Stern auf dem Europa-Center, für mich der Inbegriff der Zeitblase (sicherlich könnte man auch auf das KaDeWe hinweisen).

Doch ich schweife ab - Linie 1 beinhaltet nur eine Fahrt einer vom Lande kommenden Neuberlinerin mit der U1, damals beginnend im tiefen Westen und endend kurz vor der Mauer am Schlesischen Tor in Kreuzberg - und nur auf dieser Fahrt lernt sie bereits alle Facetten menschlicher Existenz im damaligen Westberlin kennen. Wenn man den Film sieht kommt man nicht umhin festzustellen, dass es wie gesagt nicht soviele Unterschiede zu heute gibt. Die Wilmersdorfer Witwen stehen für das extrem Konservative, was außerhalb nie mit Berlin in Verbindung gebracht wird, aber auch zur Stadt gehört wie die BVG.

Sie stehen auch stellvertretend für alle von rassistischen Vorurteilen getriebenen Menschen, die einem viel zu oft begegnen. Und sie sorgen dafür, dass die CDU in Berlin es doch irgendwie oft an die Regierung schafft, obwohl gefühlt niemand sie wählt.

Interessanterweise existiert sogar ein Wikipedia-Artikel zu "Wilmersdorfer Witwen", sodass ich mir komplizierte Umschreibungen auch eigentlich schenken kann:


Wilmersdorfer Witwen steht für das Stereotyp einer spezifischen sozialen Schicht und eines kulturellen Milieus der früheren West-Berliner Gesellschaft.

Das 1986 uraufgeführte Musical Linie 1 des Berliner Grips-Theaters prägte die Bezeichnung, die seither als Klischee verwendet wird. Die dort auftretenden selbstgerechten Rentnerinnen entdecken die schlafende Protagonistin des Stückes, die betäubt wurde und vermuten sofort, sie wäre ein „leichtes Mädchen“, weshalb sie sofort den Platz räumen soll. Daraufhin mischt sich eine andere Mitfahrerin ein, deren Vater Sozialist war und weist die Damen spöttisch in ihre Schranken. Es entsteht ein Dialog: Die Nachkriegsfrauen, die jegliche Verantwortung an Hitlers Untaten abstreiten, werden als rassistisch, arrogant, kleingeistig aber auch als lächerlich dargestellt. [...]


Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilmersdorfer_Witwen

Wer Gelegenheit hat sollte sich mal das Musical anschauen - es hat noch diverse andere schöne Lieder wie 'Marias Lied' (a.k.a. 'Hey Du' - na, das kennen hier aber die meisten, oder? und 'Herrlich zu leben').

Wir sind die Diademe der Reichshauptstadt Berlin Die Butterkrem der Creme Die Queens der Tauentzien Vom KuDamm bis zum KaDeWe sind wir die Sahne im Kaffee Wie vor fünfzig Jahren tiri tiri tirallala... Unsre Gatten hatten hohe Posten in Wehrmacht, Staat, Justiz Der Staat lässt sich‘s was kosten übers Grab hinaus – man sieht‘s Drum kämpfen wir in ihrem Sinn für Sauberkeit und Disziplin wie vor fünfzig Jahren Augenrechts Augenlinks und zack und stehn... Ja wir Wilmersdorfer Witwen verteidigen Berlin sonst wär‘n wir längst schon russisch chaotisch – und grün Was nach uns kommt ist Schiete denn wir sind die Elite Wir Wilmersdorfer Witwen! Berlin erstickt vor Türken und Asylantenpack Nur eins kann da noch wirken: Knüppel aus dem Sack! Mit Gott und Diepgen im Verein Wird unsre Stadt bald sauber sein wie vor fünfzig Jahren Schnedereng schnedereng schnederengtengteng wie vor fünfzig Jahren teräa teräa teräa Alte Tugenden beginnen bei der Jugend neu zu blühn: Beizeiten sich zu krümmen in strebendem Bemühn! So fügsam sind sie, rein und klar geschniegelt und mit kurzem Haar wie vor fünfzig Jahren Schnedereng schnedereng schnederengtengteng wie vor fünfzig Jahren teräa teräa teräa

Keine Kommentare :

Kommentar veröffentlichen