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Donnerstag, 17. November 2011

What is 'Indie' anyway? (2) - Eine Gastbeitragsreihe.

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Nun gut, wir geben es zu. Wir greifen hier ein Thema auf, mit welchem sich bereits viele Menschen auseinander gesetzt haben. Doch meistens ist es ja so, dass sich selbsternannte Experten dazu auserkoren sehen, genauestens zu bestimmen, was Indie ist und das, was es ihrer Meinung nach nun eben nicht ist, anzufeinden.

Die Tante und wir dachten jedoch, es wäre ziemlich interessant einfach mal verschiedenste Meinungen zu diesem Thema zu sammeln und sie unkommentiert stehen zu lassen. Man kann sich ja dann schließlich selbst eine Meinung dazu bilden.

Daher befragten wir Musiker, Blogger, bloggende Musiker und musizierende Blogger zum Thema Indie. Diesmal gibt Zloty Vazquez Antwort. Zloty lebt in Hamburg und schreibt bei Jahrgangsgeräusche unter anderem Rezensionen. Er macht aber auch Musik. Mit 'Das Gelobte Land'. Reinhören!


Der Indie-Zirkus
Weißt du noch? Damals auf dem Schulhof? Wir trafen uns schon vor Schulbeginn, um noch eine zu rauchen. Wir hatten uns Sicherheitsnadeln in die Ohrlöcher geschoben, um uns von den anderen abzugrenzen. Walkmen waren unsere Begleiter und wenn wir die Mädchen aus der Oberstufe beindrucken wollten, tranken wir Unmengen Bier und bannten unsere Lieblingssongs auf Mixtapes. Manchmal steckten wir sie den Mädchen heimlich zu, wenn sie in den Pausen zum Nachschminken waren. Wir wussten genau, wie ihre Schultaschen aussahen und in welchem Raum sie Unterricht hatten. Mann, waren wir blöd. Die selbstgebastelten Cover waren schon ein Hingucker, doch wir kamen nie mit einem der Mädchen zusammen. Auch sprachen sie uns nie auf unsere Tapes an. Waren wohl direkt im Müll gelandet. Zwei Stunden Arbeit für den Arsch. Die affigen Mädchen blieben immer nur ein Traum. Bis heute.
Musik war unser Leben. Wir kannten die alten Kamellen unserer Eltern, doch für uns war die harte Kost das Steckenpferd, das es zu besteigen galt. Für uns waren die Beatles und die Stones schon lange tot. Laut, schnell und independent musste es sein. Musikrichtungen waren auf dem Schulhof das zentrale Thema. Was hörst du denn so? Punk, Postpunk, Grunge, New Wave, New Romantic und Independent oder so. Speed-Metal, Death-Metal, Trash-Metal und Hardcore. Was genau Independent bedeutete, wussten wir nicht. Wenn irgendwo in den Musikmagazinen von einer Indie-Band die Rede war, wurden wir hellhörig und zogen uns die Scheiben rein. Wir wurden ungewollt zu Indie-Boys.
Natürlich lehnten wir die Charts ab, anfänglich auch Rap, Hip Hop und die Elektroniker, da für uns nur Gitarrenmusik in Frage kam. Sogar Synthesizer waren nicht gern gesehen. Die spielten doch nur die Loser mit Brille. Ausnahmen wurden heiß diskutiert. Ein DJ zum Beispiel war doch kein Musiker. Der konnte ja kein Instrument spielen. Und ein Rapper sollte doch bitte Gedichte schreiben. Mein Gott waren wir doof. Ich schrieb mir mit Edding meine Lieblingsbands auf meine Jeans. Meine Mutter hasst mich bis heute dafür. Jede neue Hose wurde erst mal mit Edding und Schere bearbeitet. Wir wollten cool und anders sein. Anders waren wir, aber cool?
Wir kauften irgendwann alles, was von einer bestimmten Plattenfirma veröffentlicht wurde. Man brauchte das Album vorher gar nicht zu hören. Es reichte das Logo des Labels hinten auf der Scheibe.  SST, 4AD, Dischord oder Homestead Records. Die großen Firmen lehnten wir natürlich belächelnd ab. Alles Abzieher, Kapitalistenschweine und Zerstörer der Avantgarde. Wir wollten unabhängig sein, die Bands sollten unabhängig sein. Freiheit war nicht ein Slogan, sondern unser Ziel. Dass wir uns so selbst beschnitten, kam uns nicht in den Sinn. Jetzt begriffen wir, so glaubten wir, was es bedeutete independent zu sein. Das war ja gar keine Musikrichtung oder Spielart, sondern etwas anderes.
Wir waren überrascht als Bands wie Erasure, Depeche Mode und The Cure auch als Indie bezeichnet wurden. Was? Die sind doch in den Charts, die machen teure Videos und sogar deine Tante hat Platten von denen im Schrank. Das geht doch nicht. Geld verdienen durfte eine Indie-Band nicht. Und Labels sollten schön mit ein paar Mark zurechtkommen. Sie sollten ihr Geld lieber in neue aufstrebende Bands stecken. Wie sie ihre Mitarbeiter und die Miete bezahlen sollten, war uns egal. Uns ging es immer nur um Musik. Nicht ums Geschäft.
Einige Labels verschwanden. Ihnen ging das Geld aus oder die Betreiber hatten nun Familien und mussten arbeiten gehen. „Dann machen wir eben ein eigenes Label auf. Nur für uns.“ Dass da mehr dahintersteckte als sich einen griffigen Namen auszudenken, hatten wir nicht auf dem Schirm.
Wir machten mit unserer Band eine Vierspuraufnahme und verkauften sie an unsere trotteligen Mitschüler und Freunde. Auf einmal ging es uns auch ums Geld. Bier war teuer und die Leerkassetten auch. Am Nachmittag vertranken wir die verdienten 15 Mark und waren stolz auf uns. Das mit dem Label war dann schnell Geschichte. Auch lösten wir unsere Band von heute auf morgen auf, obwohl wir sogar ein wenig Ruhm ernteten und Gigs hatten. Vielleicht war das ja sogar der Grund. Wenn uns Menschen gut finden, muss an unserer Musik irgendetwas falsch sein. Erfolg bedeutete Ausverkauf.
Wir entwickelten uns weiter, versuchten uns an Jazz, an Klassik und an Noise. Dann kam Techno. Eine neue Welt tat sich auf. Da bringen Leute einfach Singles raus. Wie im Punk. 500er Auflage mit weißem Sleeve. Für Cover war keine Zeit oder die Knatze nicht da. Wir verstanden nicht so recht, was die Techno-Leute wollten. Party, Drogen und Tanzen. Gut, das kannten wir, aber wo waren die Gitarren hin? Wo war der Sänger?
Wir waren Spießer. Wir lebten in unserer kleinen Indie-Welt und hatten nichts begriffen. Wir wollten Unabhängigkeit und verstanden einfach nicht, warum das nicht alle so sahen wie wir. Ignorante Pisser waren wir, die sich für was Besseres hielten. Die Musik, die wir hörten und selbst machten, war unser Nabel der Welt. Aber so ist das in der Jugend. Eines Tages dann wacht man auf und ist erwachsen. Man lacht über sich und seine altbackenen Weltverbesserungstheorien der Vergangenheit. Mann, waren wir kleinkariert! Der Indie-Zirkus hatte zigtausend Dompteure, alle waren blind und hatten Schiss vor den Löwen.

Der nächste Gastbeitrag zum Thema "Was ist 'Indie'?" erscheint am 28. November.

Lest hier den ersten Beitrag dieser Serie.
[Jens Friebe & The Papertiger Sound]

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