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Freitag, 14. Juni 2013

Album für Album: The Kinks - Think Visual (1986)

4 Kommentare :
Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.


Hier haben wir es mit einem Album aus den Tiefen der 80er Jahre zu tun. Leider merkt man es der Produktion an, auch wenn es gegenüber dem Vorgänger Word Of Mouth etwas besser geworden ist. Think Visual ist nah dran ein Konzeptalbum zu sein, und zwar zum Thema 'Arbeitsalltag'. Nah dran, weil das nicht alle Lieder zum Thema haben, es sich allerdings wie ein roter Faden, auch eher unterschwellig bzw. über mehrere Ecken gedacht, über das Album erstreckt. Daneben finden sich auch viele weitere von den Kinks bereits bekannte thematische Facetten, etwa geplatzte Träume, die ewige Wiederholung, Gentrifizierung und vor allem das gute alte Musikbusiness. Dem widmete man sich schon mehrmals. Eigentlich ist es nicht weiter verwunderlich, verbringen doch Bands, welche von ihrer Kunst leben wollen, einen großen Teil ihrer Zeit mit Gedanken daran wie das am geschicktesten umgesetzt werden kann. Mich wundert fast mehr, dass nicht viel mehr Bands diese Umstände ausführlich in ihren Texten reflektieren. Der Einstieg ins Album ist genau so ein Paradebeispiel – 'Working at the factory'. Man sei Musiker geworden um der scheinbar vorgezeichneten Schicksal zu entfliehen sein Leben lang in einer Fabrik arbeiten zu müssen, und jetzt fühle man sich wie ein Fabrikarbeiter, der ständig Musik am Fließband abzuliefern habe. Das ist ein durchaus gewagter Einstieg, verleitet der Text doch dazu das Album unter genau diesem Aspekt zu betrachten.
I made the music, thought that it was mine
It made me free, but that was in another time
But then the corporations and the big combines
Turned musicians into factory workers on assembly lines
Schon das zweite Lied des Album bricht mit dem Gedanken an ein Konzept – 'Lost and found' ist schlicht ein seichtes Lied über das Durchstehen eines Hurricanes (historisch gesehen wird wohl Hurricane Gloria im Jahr 1985 gemeint sein, der über die US-Ostküste hinweggezogen ist). Das Lied war außerdem die zweite Single, sodass sich etwas der Verdacht aufdrängt es hier mit einer absichtlich textlich und musikalisch harmlos gestalteten Radio-Nummer zu tun zu haben. So gesehen wäre es ein Witz um ein paar Ecken in Anbetracht des ersten Liedes.

Es folgt 'Repetition', und auch das Lied ist mindestens im doppelten Sinne zu verstehen, finde ich. Inhaltlich geht es natürlich um den trostlosen, sich ewig wiederholenden Alltag. Dazu kommt, dass die Kinks zu der Zeit schon etliche Lieder veröffentlicht haben, die genau in diese Kerbe schlagen (z.B. erst zwei Jahre zuvor mit 'Do it again'). Sie wiederholen sich also auch selbst. Auf mich macht das Lied einen etwas müden, unmotivierten Eindruck – der Verdacht drängt sich auf es wird hier wirklich die angekündigte Fließbandarbeit abgeliefert. Bei 'Welcome to Sleazy Town' verhält es sich etwas anders. Das Thema ist Gentrifizierung, das Lied universell auf alle möglichen Städte anwendbar, und vor allem die Musik ist erstaunlich unverbraucht. Das Stück groovt mit einer schönen Bass-Line vor sich hin, wie man es zuvor wohl kaum bis nie von den Kinks gehört hat. Auf dem 22. Studioalbum eine mehr oder weniger neue musikalische Variante vorzufinden ist durchaus keine Selbstverständlichkeit. Der Text trifft es auch ziemlich gut - alles wird sauberer, überall siedeln Firmen und Geschäfte an, aber der Dreck und das Verruchte hatte auch was für sich, besonders wenn man unter den stark ansteigenden Kosten leidet und vertrieben wird. Fast 30 jahre nach der Album-Veröffentlichung ist das Thema allgegenwärtig, und wird es noch lange bleiben.
Everybody hung loose
It was cool and easy
People used to meet and have a good time
Down in Sleazy Town, Sleazy Town, Sleazy Town, Sleazy Town

Then the corporations came along
And bought this piece of ground
The leases all went up
And so the buildings all came down
They built the motorways and shopping malls
And they killed off Sleazy Town
Musikalisch sehr gegensätzlich, schließt das folgende 'The Video Shop' nahtlos thematisch an. Wir hören beschwingte Synthesizer-Töne und während in 'Welcome to Sleazy Town' schon Menschen besungen werden die den ganzen Tag nur drinnen sitzen und Videos schauen weil draußen nichts mehr los ist, kommen genau diese Menschen in 'The Video Shop' auf die naheliegende Idee aus dem Hobby einen Beruf zu machen und eine Videothek zu eröffnen. Ich habe das Zeitalter selbst nicht bewusst miterlebt, aber es muss schon eine Offenbarung gewesen sein zum ersten Mal Bewegtbilder aus der Konserve gucken zu können. Der Inhalt mag im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß wirken, aber was damals die eigene Videothek war kann heute z.B. die eigene App fürs Smartphone sein. Oder der Bubble Tea-Laden, oder was auch immer gerade angesagt ist.

Damit wäre das Ende von Seite A erreicht, und an der Stelle kann ich gut verstehen wenn man nicht umdreht, sondern ein anderes Kinks-Album aus dem Plattenschrank holt. Tut man es trotzdem, schallt einem 'Rock'n'Roll Cities' entgegen, eine Hymne an das Touren durch die USA aus der Feder von Dave Davies. Simpler Rock, simpler Text, keinerlei Tiefgang, Botschaft oder sonstiges. Das Stück gibt mir nichts, und man hätte getrost darauf verzichten können, finde ich. 'How are you' wurde als erste Single ausgekoppelt, und beim Anhören fällt auf – es klingt genauso seicht und ist inhaltlich genauso belanglos wie 'Lost and found', die zweite Single. Was soll man von dem Album denken wenn man nur die beiden Singles gehört hat, die für meine Ohren schwer zu ertragener Radio-Pop sind? Wollte man unbedingt stattfinden? Wollte man die Fließbandtheorie einmal mehr untermauern? Das Album bietet durchaus recht viel musikalische Abwechslung, warum entscheide ich mich dann für zwei so sehr ähnliche Singles? Jedenfalls, das Lied hat nichts zu bieten, leider.

Viel besser hingegen wäre das folgende Titelstück 'Think Visual' gewesen. Es geht ins Ohr und prangert den ekligen neoliberalen Zeitgeist an (historisch natürlich in der Ära Reagan/Thatcher verortet, aber leider problemlos in die Gegenwart übertragbar). Der Text ist direkt und voll der ganzen Produktivitätssteigerungsphrasen. Die Aktualität des Textes ist im Grunde eine Bankrotterklärung der sozialen Evolution. Wieso müssen wir uns 30 Jahre später genau die gleiche Scheiße anhören?
Marketing says we gotta merchandise
But economy says we gotta minimise huh -
We gotta budget to face and the marketplace is full of competition, competition
Think digital, synthisise, computerise, think visual
Productivity, marketability, higher and higher
Flash those teeth, open those eyes
Think visual, think visual
An dieser Stelle streiche ich mal ein paar abschweifende Absätze und gehe lieber zum nächsten Lied über – 'Natural Gift'. Es ist ein Highlight auf dem Album, auch wenn nicht so sehr Highlight als dass es zu den großartigsten Kinks-Liedern gehören würde, aber schon eher vorne dabei. Nicht nur die Musik bleibt hängen, was bei diesem Album nicht selbstverständlich ist, auch der Text sticht positiv heraus, denn er ist sehr positiv. Man wird aufgefordert seine eigenen Talente zu erkennen und zu befördern. As simple as that, aber genau diese einfache, positive Art hebt das Lied aus der Masse der restlichen Lieder des Albums ab. (Natürlich ist es auch nicht ganz so einfach, denn es wird schon eine thematische Verbindung zum Arbeitsalltag gemacht, nämlich zur gewollten Kreativlosigkeit durch Stress um Leute an langweilige Jobs zu binden.)
You gotta stop this depression you're in now
Stop this emotional rift, you need a psychological lift now
Everybody needs some inspiration, everybody needs some motivation
Mix it up with some imagination and use your natural gifts
There are bad people, mad people, bitter people, scared people
Wanna put you down and keep you in your place
But you gotta chance to break out, you gotta chance to get out
And use your natural gifts
Das andere Highlight ist 'Killing Time'. Hier wird nochmal das Thema vom Anfang aufgegriffen, und zwar Arbeitsalltag ohne Arbeit. Die Trostlosigkeit des Gefühls nichts zu tun zu haben, und die noch trostlosere Aussicht darauf nichts mit dieser vielen Zeit anfangen zu können, eben die Zeit totschlagen zu müssen. 'Zeit totschlagen' ist mir als Tätigkeit völlig unverständlich, denn es gibt absolut nichts kostbareres als Zeit. Nicht zu wissen was damit anzufangen ist ist ein schlimmer Zustand (nicht zu verwechseln mit Müßiggang, das ist ein sehr angenehmer Zustand). Auch das Lied fließt überaus eingängig vor sich hin und hat vor allem textlich einiges zu bieten.
Still I can smile at what I see
Soap operas full of vanity
So much wealth and property
Side by side with petty crime

Is that all life's meant to be?
Commercials full of luxuries
A man has one, a cat has nine
And in between it's killing time
Am Ende darf Dave Davies mit 'When you where a child' noch einmal zu Wort kommen. Er besingt in dem gelungenen Lied die Flucht in die Unbekümmertheit. Es ist sicherlich kein Hit, aber ein würdiger und vor allem passender Abschluss nach den ganzen Erwachsenen-Sorgen. Was anderes als diesen vielen besungenen wirtschaftlichen Zwängen zwar mit Engagement, aber eben auch mit einem großen Anteil Unbekümmertheit (zumindest ob der eigenen Situation) entgegen zu treten bleibt einem wohl kaum übrig, wenn man nicht verbittert oder mit Burn-Out enden möchte.

Unterm Strich ist Think Visual ein auffallend mediocres Album. Ich kann es weder schlecht noch gut finden, denn es fehlen einfach die Ausreißer nach oben und unten. Natürlich habe ich geschrieben was ich gut und schlecht finde, aber das bewegt sich alles in einem engeren Rahmen als bei den meisten anderen Kinks-Alben. Die Texte haben einige sehr gute Momente, und die Musik ist hier und da ganz nett. Letztendlich ist es zwar nicht verkehrt Think Visual mal gehört zu haben, aber eine Empfehlung soll diese Rezension auch nicht sein. Es ist ein Album was lange Staub ansetzt bevor man es mal wieder aus dem Regal holt, aber alle paar Jahre holt man es doch aus dem Regal.

4 Kommentare :

  1. Kleine Notiz am Rande: R'n'R Cities ist ein Cover eines Lieder von Louis Jordan -> http://vimeo.com/45039032

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  2. Vielen Dank für den Hinweis, Norbert! Tz, die Kinks selbst haben das auf der Platte verschwiegen, diese Tantiemen-Zechpreller. Ich habe die Rezension mal etwas überarbeitet. :)

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    1. Vorsicht, der Song ist definitiv keine Coverversion, sondern stammt im Original wirklich von Dave Davies. Hier handelt es sich um einen Spaß des Sängers Mitch Friedman, selbst bekennender Kinks-Fan. Dieser hat auch das Video zu seiner Cover-Version im Stile Jordans gemacht und es zum Spaß so dargestellt, als ob sich die KINKS hier bediet hätten. Leider wird das jetzt im Netz für bare Münze genommen. Hier aber die Links, die bestätigen, dass der Song nicht geklaut ist:
      http://www.louisjordan.com/songs.aspx (Offizielle Website Jordans, die den Song nicht kennt, dafür aber "Rock & Roll Call", was Friedman wohl zu seiner Charade inspiriert hat, höchstwahrscheinlich hat er ein Exemplar der Single für das Video genutzt und mithilfe von Photoshop verändert.)
      http://www.nicepace.net/davedavies/#rockand (Homepage der Tribute-CD von Kinks-Fans aus dem Jahr 2007, auf der auch Friedmanns Cover zu finden ist. Auf der gleichen Seite finden sich die gefakten Angaben über Louis Jordan, gefolgt von den wahren Credits: "p.s. Daryl Bean: saxophone/ Mitch Friedman: the rest".
      Dass Friedman ein Witzbold ist, kann man an seiner Website und seinen CDs sehen:
      http://www.gameshowteeth.com/HOME.html

      Ich bitte daher, den falschen Passus in der Beschreibung zu entfernen!

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