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Freitag, 18. Januar 2013

Album für Album: The Kinks - Muswell Hillbillies (1971)

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Ich möchte über die Musik der Kinks schreiben, sitze vor dem Berg an Material und weiß nicht, wie man die ganzen Gedanken dazu in einen gut lesbaren Fließtext verwandelt bekommt. Es gibt zuviel – z.B. die vielen grandiosen Alben aus den 60ern, von dem jedes anders klingt und es oft an wundervollen Ideen übersprudelt. Es gibt diverse theatralisch aufgebaute Konzeptalben aus den 70ern, über Vergänglichkeit, Schule und Star-Dasein, die viel zu selten gewürdigt werden, obwohl sie mitunter fantastisch sind. Da ist noch die Stadionrockphase Ende der 70er, Anfang der 80er und ab Mitte der 80er das durchwachsene, meist ignorierte Spätwerk, welches aber doch ab und an Highlights bietet. Deswegen möchte ich meine Gedanken und Empfehlungen zu den 24 Studioalben einfach in chronologischer Reihenfolge niederschreiben, mit der Hoffnung dass einige LeserInnen den ein oder anderen untergegangenen Schatz für sich entdecken.


Dieses Album stellt seinen schwächlichen Vorgänger aus dem selben Jahr eindeutig in den Schatten. Wir befinden uns mitten in der Konzeptalbenphase, und so ist auch Muswell Hillbillies eines – diesmal steht die britische Arbeiterklasse der damaligen Gegenwart im Mittelpunkt. Es passt auch wunderbar in die Reihe der zahlreichen Kinks-Werke, die Vergangenheit und Bewahren bearbeiten. Hier will auch viel bewahrt werden – das erste Lied, '20th Century Man' stellt das von Anfang an klar (übrigens taucht dieses Lied in einer aberwitzigen Auflistung der besten 50 konservativen Rock Songs auf, das hat es wirklich nicht verdient).

Was folgt ist eine um das große Thema gebastelte episodische Aufteilung. Jedes Lied ist ein eigener, kleiner Kosmos um jeweils eines der zahlreichen Probleme der beschriebenen Menschen. Es wirkt so als wäre eine Liste abgearbeitet worden – Alkohol, Drogen, Burn Out, Psychosen, Fernweh, Kriminalität etc. Neu ist nicht nur diese strikte und konsequente Gliederung (die gab es zwar auf Vorgängeralben auch schon, aber nicht so deutlich voneinander abgegrenzt), sondern auch die musikalische Umsetzung. Welch ein neuer, viel variantenreicherer Sound einen erwartet merkt man spätestens bei Lied zwei mit dem wundervollen Titel 'Acute Schizophrenia Paranoia Blues' – es ist was sein Name andeutet und gut wenn man sich mal wieder verfolgt fühlt – Google, Verfassungsschutz, Telekom, das hat Methode, sie sind überall...ach, ich schweife ab. Genug davon, die Überleitung ist fließend. Wenn einen alle verfolgen gehts in die Ferien – 'Holiday'. Der Gesang klingt nach Psychopharmaka; der Gebrauch von Beruhigungsmitteln wird im Text allerdings verneint, natürlich. Es ist einer dieser wunderbaren Texte die ich bei den Kinks so liebe, die mit dem bösen Twist in der Geschichte. Nach drei Liedern ist klar – hier werden die essentiellen Probleme von Menschen mit vielen essentiellen Problemen durchgekaut. So gehts natürlich weiter. 'Skin & Bone' (eine bessere, nämlich eine Liveversion findet sich auf dem nachfolgendem Album) beklagt das Dünnhungern (der Witz ist wohl eher – man schaue sich die Davies-Brüder auf Aufnahmen vom Anfang der 70er an. Sie sind praktisch durchsichtig). Darauf das nächste Problem, 'Alcohol' – in der Reihe menschlicher Dramen selbsterklärend. Wundervoll arrangiert und noch wundervoller gesungen.
'Complicated Life' ist topaktuell – heute würde man das Beschriebene wohl eher Burn-Out nennen. Ich denke so ziemlich jeder kann diesen Text nachvollziehen. 'Here come the people in grey' – Gentrifizierung, nur mit mehr staatlichem Nachdruck als heutzutage. Jetzt ist ein eher subtileres Vorgehen in Mode, sonst könnten die Leute wohl zu schnell dieselben Gedanken hegen wie der Protagonist im Lied:
 „We're gonna buy me gun to keep the policemen away.
I'm gonna pass me a brand new resolution,
I'm gonna fight me a one man revolution, someway,
Gonna beat those people in grey“
'Have a cuppa tea' rumpelt vor sich hin und behauptet Tee sediere die Bevölkerung und hielte sie von politischem Handeln ab – oder positiv formuliert, verbindet Menschen unterschiedlicher Herkunft. Auf jeden Fall ist es eines der obskursten Werke zum Thema Tee (es gibt mehr als man auf Anhieb glauben mag). Nach dem schweren 'Holloway Jail', ein Lied über den Abstieg in eine kriminelle Laufbahn, schwebt 'Oklahoma U.S.A.' ein. Es schwebt tatsächlich – genau wie die beschriebenen Tagträumereien von einem besseren Leben in den USA. Die Umsetzung ist fantastisch. An dieser Stelle fällt wieder auf wie großartig und facettenreich der Gesang von Ray Davies auf diesem Album ist. An der Stelle würde es einen gelungenen Abschluss finden können, allerdings klingt das Album noch mit einer Ode an den einfachen Mann und der Zusammenfassung 'Muswell Hillbilly' aus, in der nochmal einige angeführte Probleme aufgegriffen werden und letztendlich das Motiv 'Fernweh' aus 'Oklahoma U.S.A.' wiederholt wird.

Alben wie diese sind im Grunde ein Geschichtsbuch, eine Momentaufnahme. Man taucht auf Albumlänge in eine Welt ab die es einerseits nicht mehr gibt, andererseits dabei doch klar wird wie wenig sich an den eigentlich dringlichen Problemen der Menschen ändert. Die Beschreibung dieses kleinen Kosmos Muswell Hill ist so pointiert und exakt, ich neige dazu dem mehr glauben zu schenken als nüchternen Artikeln. Ob das richtig ist? Wer weiß. Auf jeden Fall ist so die Erforschung der Historie ein Hochgenuss, den ich jedem ans Herz legen kann.

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