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Mittwoch, 14. Dezember 2011

Musik und Zensur

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Das Schwein ist auch für dich gestorben, lieber Vegetarier!
Ok, das ist natürlich keine Zensur, denn Zensur findet in Deutschland nicht statt, steht im Grundgesetz. Vielmehr beschützt uns die Bundesprüfstelle für jugendgefährdene Medien vor den ganzen bösen bösen Menschen, die schlimme Lieder singen und damit bei freier Verfügbarkeit den Untergang des Abendlandes verursachen würden. Puh, mal etwas ironiefreier weiter - das ganze ist ein komplexes Thema und müsste bei sachgemäßer Behandlung in einen sehr juraverseuchten Text münden. Ich versuche das so gut es geht zu vermeiden.



Einige Basics müssen leider trotzdem erstmal klargestellt werden. Die Gründe der Indizierung liegen entweder bei 'Jugendgefährdung', also z.B. Pornografie, oder in einem Verstoß gegen das Strafgesetzbuch, also Volksverhetzung etc. Es gibt mehrere Listen - ein Teil der indizierten Medien darf nicht beworben und an Jugendliche unter 18 abgegeben werden, der andere Teil verstößt laut BPjM gegen das Strafrecht, und darf nach entsprechendem Gerichtsbeschluss auch nicht an Erwachsene abgegeben werden. Eine Indizierung erlischt automatisch nach 25 Jahren, falls niemand das Verfahren neu aufrollt. Das System ist noch deutlich komplizierter, aber mehr müssen wir für die konkreten Fälle momentan nicht wissen.

Wer ist von der Zensur betroffen? Viele Nazibands natürlich, aber auch einige Punkbands, diverse Rapper sowie einige in dem Zusammenhang eher kuriose Künstler. In diesem Artikel übergehe ich die ganze Nazi-Scheiße. Zwar bin ich auch in dem Fall für den offenen Umgang, aber mein Mitleid mit den Betroffenen hält sich in engen Grenzen.

Oft ist die Sachlage anders als man so denken mag. Beispiel Slime. Entgegen allgemeiner Vermutung ist 'Deutschland muss sterben' NICHT indiziert. Erstaunlich, wenn man sich diverse andere Indizierungen aus der Zeit der Veröffentlichung (1981) und danach anschaut. Anders verhält es sich wiederum mit 'Wir wollen keine Bullenschweine' vom selben Album. Das Lied wurde zwar auf Tonträgern mehr oder minder freiwillig zensiert, war aber bis 2011 trotz vieler Gerichtsverfahren nicht indiziert. Dann, sage und schreibe 30 Jahre nach der Veröffentlichung kommt die wieselflinke BPjM in Form eines Gremiums aus 3 Menschen um die 60-Jährige Vorsitzende zum dem Entschluss dieses Lied zu indizieren, und zwar mit der Begründung, der "Kunstgehalt" sei niedrig und der Jugendschutz habe Vorrang. Soso, dieses Gremium darf also in unserer Demokratie darüber urteilen, ob der 'Kunstgehalt' angemessen ist. Die Frage, die wohl nicht bei denen, aber bei allen anderen Menschen eine Sekunde später aufkommt: Wie definiert man eigentlich Kunst? Offensichtlich haben die werten BPjM-MitarbeiterInnen genau eine solche allgemeingültige Definition gefunden.


Überhaupt, der sogenannte Jugendschutz ist der Grund für die wahnwitzigsten Indizierungen. Die Ärzte haben davon viel zu erzählen. Da denkt man sich nichts bei irgendwelchen Nonsens-Liedern wie 'Claudia hat' nen Schäferhund', 'Schlaflied' und 'Geschwisterliebe', und plötzlich werden 2 von 3 bis dato erschienenen Alben indiziert und dürfen nicht mehr beworben werden, weil man Jugendliche 'sexualethisch desorientiere'. Hier ein wörtliches (!!!) Zitat aus der Indizierungsbegründung zu 'Claudia hat 'nen Schäferhund' von 1987:
„Zwar wird in der letzten Strophe auf die Gefahr des Verharzens hingewiesen, dennoch wird der Gesamteindruck vermittelt, geschlechtliche Kontakte mit einem Schäferhund überträfen bei weitem heterosexuelle Befriedigung.“
So, die Frage ist doch, was sitzen da für Menschen? Wer denkt sich sowas aus? 2005 wurde außer 'Geschwisterliebe' wieder alles vom Index genommen ('Geschwisterliebe' wurde auch geprüft, aber für immernoch ganz ganz schlimm befunden), sodass heute die Jugend leider diese Lieder ganz legal kaufen kann und somit zwangsläufig durch diese sexualtethische Desorientierung Hunde sexuell missbraucht. Wie konnten sie das nur zulassen, arme deutsche Schäferhunde...


Dank der Ärzte hat sich übrigens die Botschaft von 'Wir wollen keine Bullenschweine' sehr subtil millionenfach verbreitet und läuft selbst auf den übelsten Ballermann-Partys. Moment, wenn seit diesem Jahr 'Wir wollen keine Bullenschweine' indiziert ist, dann...oh oh, ich muss direkt mal einen Antrag stellen, so geht das ja nicht. Das wäre ein Spaß...

Ein anderes sehr bekanntes Beispiel ist das Lied 'Frohes Fest' von den Fantastischen Vier. Es wurde 1993 (2 Jahre nach Erstveröffentlichung) von der flinken BPjS indiziert, aus dem altbekannten Grund der sexuellen Desorientierung von Kindern und Jugendlichen. Wenn man die Begründung liest, kann man schnell glauben, das so etwas nicht möglich ist. Aber doch, sie schreiben es:
[...]Die an den jugendlichen Rezipienten gerichtete Botschaft des Liedes 'Frohes Fest' lautet daher: "Erwarte das Schlimmste von anderen, dann kannst du Enttäuschungen vermeiden. ...Es ist kaum möglich, glücklich zu werden. ...Gefühlsbindungen zu anderen sind normalerweise das Vorspiel zu Desillusionierung und Enttäuschung."[...]
Wir schütteln wieder die Köpfe und denken über einen weiteren, schon älteren Fall nach: Das Album Virgin Killer von den Scorpions. Richtig, die Langweiler durften auch schon die Macht der BPjS spüren, allerdings ging es ihnen damals um das Cover. Darauf zu sehen ist ein nacktes, elfjähriges Mädchen, das die Beine spreizt. Das primäre Geschlechtsmerkmal ist durch die Abbildung einer zersprungenen Scheibe verdeckt. Das war der BPjS eindeutig zuviel, und das Cover durfte fortan nicht mehr benutzt werden.

Es gibt noch viele weitere, auch sehr grenzwertige Beispiele aus der Geschichte der BPjM bzw. BPjS.  In den letzten Jahren waren Rapper das bevorzugte Ziel, ich sage nur Aggro Berlin. Worum es mir aber an dieser Stelle geht ist die generelle Freiheit der Kunst. Ich erkenne an, das, gerade wenn es um Aufruf zu Gewalt gegen Menschen geht, ein sinniger Straftatbestand greift, aber der Punkt ist: Indizierungen sind nutzlos. Schlimmer noch, sie sind kontraproduktiv. Ist es nicht Allgemeinwissen, dass verbotene Sachen interessanter sind, und zwar ganz besonders für Kinder und Jugendliche? Kein Wunder, dass die genannten Indizierungen den Bands zumindest langfristig viel mehr genützt als geschadet haben. Nun kann man das in den konkret erwähnten Fällen als popkulturellen Schnickschnack auffassen. Heikel wird es allerdings bei den ganzen Nazibands. Gefühlsmäßig bin ich sofort dabei den ganzen Dreck zu verbieten, aber ich sehe auch wie genau diese Verbote die Ideologie aufwerten und ihr in die Hände spielen. Deswegen möchte ich hiermit für eine uneingeschränkte Meinungsfreiheit plädieren, auch wenn es oft wehtut. Die Karten müssen offen auf den Tisch, um darüber zu diskutieren und aufzuklären. Alles andere befördert gut verschlossene Subkulturen, von denen kein Außenstehender weiß was die so treiben (Hallo Verfassungsschutz!). 

Wer schnell im Internet was wertvolleres als diesen Beitrag zum Thema lesen möchte, dem kann ich 'Ja, dies ist nur – ein Lied über Zensur (Die Ärzte). Musikindizierungen und -verbote in Deutschland' von Roland Seim empfehlen.

Zum Titelbild - es hat mit dem Thema nicht direkt etwas zu tun, aber passt trotzdem gut, da ja auch die BPjM bis heute wie ein Wächter christlicher Sitten- und Moralvorstellungen wirkt:

Das Wizo-Schwein. Wie der Autor dieses lesenswerten Artikels musste auch ich bei dem Mohammed-Karrikaturenstreit oft an das gekreuzigte Schwein denken. Letztendlich kam die Kirche nicht mit ihren ganzen Protesten, Unterschriftensammlungen und Verbotsanträgen durch, aber sie kam sehr weit. Ein Gericht stellte den Straftatbestand der "Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen" fest. Es ist aber legal es hier zu zeigen, soweit ich das richtig verstanden habe. Hoffentlich gibts keine Morddrohungen fundamentaler Christen, die gab es nämlich damals auch gegen Wizo.

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