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Freitag, 8. Juni 2012

Gastbeitrag: Die Lyrik von Dota Kehr am Beispiel 'Tempomat'

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Als großer Fan von Dota Kehr habe ich ihr schon einiges an Lebenszeit gewidmet, aber das ist nichts im Vergleich zur wunderbaren Katrina, die vor kurzem eine ganze Hausarbeit zum Lied 'Tempomat' verfasste. Im Original ist das Thema genau genommen „Lieder im Lyrikunterricht am Beispiel von Tempomat. Eine Interpretation und didaktische Reflektion aus einer ganzheitlichen Perspektive.“ Da wir hier -glücklicherweise- kein Lehramtsblog sind und es sonst auch zu sehr ausufern würde haben wir es auf die Betrachtung der Lyrik im Lied reduziert und leicht vereinfacht. Im Original gab es natürlich, wie es sich gehört, unzählige Fußnoten und Verweise (auf Nachfrage rücken wir natürlich mit einer vollständigen Quellenangabe raus.) Zur besseren Lesbarkeit deswegen hier eine formal unakademische und intellektuell hoffentlich nicht allzu fordernde Fassung des Kapitels „Analyse und Interpretation von Tempomat.“

Hundert1000 Dank an Katrina!! Sie wird es weit bringen...

Mit dem Titel „Entschleunigung im Hamsterrad“ wird in der TAZ-Ausgabe vom 8.4.2012 auf den Dokumentarfilm „Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ hingewiesen. Der Film thematisiert das Phänomen der Beschleunigung unserer Zeit und die Suche nach Möglichkeiten einer Entschleunigung. Auch die Kleingeldprinzessin setzt sich nicht filmisch, sondern musikalisch mit diesem Thema ausführlich in ihren Liedern auseinander. Dorothea Kehr alias die Kleingeldprinzessin, heute besser bekannt als Dota und die Stadtpiraten, ist der kleine Beobachter unserer Gesellschaft und wurde für ihr musikalisches Talent, „die Welt im Vorbeiziehen [zu] kommentieren“ (aus 'Fensterbrett' vom Album Taschentöne), bereits mit dem deutschen Kleinkunstpreis 2011 ausgezeichnet.

Dass Texte in Songform als Lyrik bezeichnet werden können und bei herausragender Qualität auch literarische Würdigung erfahren sollten, zeigt einmal mehr Heinrich Detering eindringlich in einem Artikel über Bob Dylan: In Zungen reden. Über die Einheit von Schreibstimme und Singstimme, Schrift und Lied: Warum es an der Zeit ist, dass Bob Dylan den Literatur-Nobelpreis bekommt. Hierin argumentiert er unter anderem mit Dylans selbstverständlicher Erwähnung im
Oxford Book of American Poetry „als Dichter eigenen Rechts, aber auch als Referenzautor zeitgenössischer Poeten“ für dessen Benennung zum künftigen Literaturnobelpreisträger. Wie Bob Dylan lässt sich auch die Kleingeldprinzessin der sogenannten Singer-Songwriter-Garde zuordnen. Der musikalische Aspekt auf der Formseite geht eine Verbindung ein mit der inhaltlichen Ebene. Die politische und gesellschaftskritische Tendenz spiegelt sich auch in aktuell erscheinender Lyrik wieder. Gerade die zuletzt veröffentlichte – eine, in den Zeiten des Turbokapitalismus entstandene Lyrik ist geprägt von einer Wiederkehr des Politischen. Die dominanten Themen sind hierbei die der technischen Überwachung, des Versperrtseins, der Ausweglosigkeit, verlorene oder entleerte Zukunft, die Dehumanisierung und Durchökonomisierung aller Lebensbereiche, letztlich die Reduktion des Menschen auf seine ökonomische Funktionalität, als Verbraucher und kleinste wirtschaftliche Einheit (nach Geist, Peter in Text + Kritik. Heft 171. S. 98-117). Interessanterweise ließ sich bei der Lektüre seiner Reflektion zu aktueller politischer Lyrik feststellen, dass eben genannte Motive, neben der Liebesthematik, durchweg auch in den Liedern von Dota wiederzufinden sind. Auch das Lied Tempomat behandelt einige der genannten Themenbereiche.

Die individuelle Rezeption eines Gedichts vollzieht sich „stets in einem kaum mittels objektiver Kategorien zu erfassenden intimen Dialog“ (Golisch, Stefanie: Ingeborg Bachmann zur Einführung). Dies gilt auch für die Rezeption von Tempomat sowohl in visueller, also textgebundener, als auch in akustischer Hinsicht. Damit meine ich jedoch nicht, dass Lyrik generell so subjektiv angelegt ist, dass sie beliebig gedeutet werden kann, frei nach dem Prinzip des „anything goes."

Die Erschließung des Liedes erfolgt aus einer hermeneutischen Perspektive heraus. Da aufgrund der inhaltlichen Dichte, die sich insgesamt über zehn Abschnitte erstreckt, eine chronologische Vorgehensweise Strophe für Strophe und Vers für Vers den Rahmen sprengen würde und sich der Text nicht nur linear, sondern auch paradigmatisch erschließen lässt soll nach einer inhaltlichen Erfassung und Titelbetrachtung die Isotopiestruktur erschlossen werden. Aus der Betrachtung der Isotopiestruktur lassen sich Rückschlüsse auf den Grundgestus, also die Grundverhaltensweise des lyrischen Ichs, ziehen. Dieser bildet mit dem Gestus die Tiefenstruktur des Textes ab. In diesem Zusammenhang wird auch auf den performativen Aspekt der Musikalität verwiesen.

Die zehn Abschnitte gliedern sich in drei acht- bis zwölfversige Großstrophen, vier vierversige Kleinstrophen und drei vierversige Refrainteile auf. Im Liederbuch ist noch ein „Alternativer Schluss“ verzeichnet, der noch einmal aus zwei weiteren vierversigen Strophen besteht. Die Handlung beschränkt sich auf eine situative Tätigkeitsbeschreibung aus der Perspektive des lyrischen Ichs. Durch die erste Strophe joggt das lyrische Ich lächelnd, wird dabei von einer Frau angesprochen und gezwungenermaßen aufgehalten. In der zweiten und dritten Strophe beschreibt das lyrische Ich seinen inneren Zustand als bewegt-getrieben und liefert am Ende des letzten Verses der dritten Strophe mit der Feststellung „auf Tempomat“ zu sein, hierfür die Erklärung. Der nun folgende Refrain beschreibt diesen Zustand genauer. In der vierten Strophe berichtet das lyrische Ich im stenografischen Stil montagehaft über eine Autofahrt in Begleitung übers Land, um dann in der fünften Strophe ein Plädoyer auf die Geschwindigkeit zu halten und abschließend formelhaft zu zitieren, dass Strecke „Zeit zum Quadrat“ und es selbst auf Tempomat sei. Die Wirkung des Tempomats im Allgemeinen und aufs lyrische Ich im Besonderen, wird in der sechsten Strophe thematisiert, das eigentliche Ziel in der siebten Strophe. Der letzte Refrain wiederholt die Beschreibung, auf Tempomat zu sein. Der dann verzeichnete Alternative Schluss beinhaltet noch einmal eine Steigerung, die in den hypothetischen Knall mündet, der alles zum Stand bringt.

Bereits der Titel Tempomat lässt weitreichende Assoziationen zum Inhalt zu. Wer technisch nicht so bewandert ist, könnte hierhinter eine Wortneuschöpfung, zusammengesetzt aus Tempo- und Auto-mat vermuten.
Sie würde dem Liedinhalt ebenfalls gerecht. Jedoch steht Tempomat synonym für eine Geschwindigkeitsregelanlage, die in KFZs die Geschwindigkeit automatisch nach Vorgabe der fahrenden Person reguliert. Der Tempomat ist also eine technische Komfortfunktion, die die Steuerung des Fahrzeugs erleichtert. Er ist als Metapher für die Einverleibung des Technischen auf das lyrische Ich und dessen Handeln zu verstehen. Indem das lyrische Ich äußert, auf Tempomat zu sein, entspricht es im übertragenen Sinne dem Automobil, welches durch den Tempomat geregelt wird. Das Lied behandelt die „konstante Beschleunigung“ des lyrischen Ichs, das sich durch verschiedene Lebenssituationen immerzu in rasantem Tempo fortbewegt. Die Reimstruktur folgt keinem festen Schema, sondern ist unregelmäßig, geprägt von unreinen Reimen, allein auf die Singbarkeit hin angelegt. Es dominieren Paarreime, diverse Binnenreimformen, sowie Assonanzen und Alliterationen. Der Gesangsstil erinnert, vor allen Dingen in den Großstrophen -für Dota recht untypisch - an einen Rap-Gesang. Dieser passt zum marschmäßig-kontinuierlichen Laufschritt-Rhythmus, der auch auf der inhaltlichen Ebene nicht nur in der ersten Strophe transportiert wird.

Gerade für den Sprechgesang sind vielfältige Reimformen konstitutiv (= wesentlich / grundlegend), nicht zuletzt wegen der leichteren Memorierbarkeit. Das Metrum ist durch fast gleichmäßig wechselnde Hebungen und Senkungen gekennzeichnet, die die starke Rhythmisierung stützen. Der stakkatohaft, marschmäßig fortstampfende Rhythmus wird durch die Assonanzen und Alliterationen (bspw. in „Raststätten, Rapsfeldern“), verschiedenen Binnenreimformen (bspw. in „Blut pocht und pulsiert, das Hirn kocht und vibriert“) und Parallelismen (bspw. in „Menü to go. Lektüre to go. / Abschied to go. Liebe to go) noch verstärkt und erzeugt einen Zusammenhang mit der inhaltlichen Ebene, da sich das Leitmotiv des Tempos und der Bewegung durch das ganze Lied zieht. Hierbei steht das Erleben des lyrischen Ichs im Zentrum des Liedes. Die starke Subjektorientierung erfolgt jedoch nicht im Sinne der romantischen Tradition der Empfindsamkeit, im Dienste einer Identifikation des Zuhörers mit dem lyrischen Ich, sondern in Form einer Verfremdung und Distanzierung durch den gestischen Charakter. Nicht das Schicksal eines lyrischen Ichs steht im Zentrum, sondern ein bestimmtes Verhalten im gesellschaftlichen Kontext, das änderbar und keineswegs vom Charakter her unausweichlich festgelegt ist.

Die starke Subjektorientierung kommt bereits zu Beginn des ersten Verses durch das Pronomen Bin zum Ausdruck. Das ganze Lied ist geprägt durch die häufige Verwendung der Pronomen bin und ich. Letzteres kann sogar dreißig Mal gezählt werden. Trotz der auffällig subjektbezogenen Sprachäußerungen, wird das lyrische Ich jedoch menschlich nicht fassbar. Die Subjektorientierung ist eben nicht auf eine Identifikation des Zuhörers mit dem lyrischen Ich hin ausgelegt, sondern auf eine Distanzierung und Bewusstmachung des Geschehens. Die verwendete Sprache erinnert eher an eine für ein technisches Gerät entwickelte Computersprache, denn der Sprache eines menschlichen Wesens. So ist die „innere Uhr“ des lyrischen Ichs auf „Countdown programmiert“. Es ist -entgegen der für den Tempomat geregelten gleichbleibenden Geschwindigkeit auf „konstante Beschleunigung eingestellt“ und ‚schaltet’ auf Autopilot, wenn es nicht mehr kann. Um zu funktionieren braucht es wie ein Auto „Benzin“. Dies ist allerdings vor der Verwendung von Coffein intravenös zuzuführen. Die Droge des lyrischen Ichs ist das Tempo. Es befindet sich im Rausch der Geschwindigkeit und ist „auf Tempomat“ „unterwegs“.

Wie bereits erwähnt wurde, steht das Erleben des lyrischen Ichs einer vorrangig technischen, gleichförmigen, vom Tempo geprägten modernen Welt im Vordergrund. Bei näherer Betrachtung der Isotopiestruktur bestätigt sich diese These. Die verwendeten Lexeme, vor allen Dingen Substantive, Verben und Adjektive, aber auch die Wiederholungen auf der syntaktischen Ebene (=Grammatik) lassen sich primär in das semantische Umfeld (= Bedeutung) folgender Isotopien einordnen: Geschwindigkeit, Bewegung, Zeit, Gleichförmigkeit und Technik. Grundsätzlich ist allen Isotopien gemein, dass sie in Verbindung mit dem Titel gebracht werden können. Die Isotopie Geschwindigkeit kommt bspw. bereits im Titelteil Tempo zum Ausdruck. Tempo steht synonym für Geschwindigkeit und ist der verkürzte Ausdruck der Formel zur Geschwindigkeitsberechnung ‚Weg durch Zeit’, km/h. Ins Italienische wird ‚tempo’ mit ‚Zeit’ übersetzt. Die Isotopien Geschwindigkeit, Bewegung und Zeit hängen eng miteinander zusammen, wodurch eine zusammenhängende Betrachtungweise von Vorteil ist. Die Tätigkeit des Joggens, der „Fahrtwind“, „die Ausdrücke „Dalli, Dalli, Ruckzuck“, die Verben ‚pochen’, ‚pulsieren’, ‚kochen’‚ ,vibrieren’ ‚fortziehen’, ,beeilen’, ‚zurückfallen’, „springen“, ‚einholen’, ‚fahren’ zeigen die enge Verbindung der drei Isotopien auf.

Auch beim Adverb ‚immerfort’ lassen sich Bezüge zu allen drei Isotopien herstellen. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls auf den lautmalerischen Charakter bestimmter Begriffe hinzuweisen. Die Wiederholung „Dalli, Dalli“, die Schlagreime „Ruckzuck“, „heißen Reifen“, Weißen-Streifen-Fieber, die Alliterationen ‚pochen’, pulsieren’, Inreime, sowie der assonante Parallelismus in Vers 25 und 26 mit dem sich viermal wiederholenden Anglizismus „to go“ implizieren vor allen Dingen Geschwindigkeit, Bewegung und Zeit als Mangelerscheinung. Auch auf der Ebene der Satzstruktur kommen diese Isotopien zum Ausdruck. Die parataktische Satzbauweise mit sehr kurzen, aneinander gereihten in sich abgeschlossenen Sätzen, oft elliptisch und durch Komma getrennt, reißt den Zuhörer mit und lässt ihm wenig Zeit, die vielen vermittelten Eindrücke zu verarbeiten, da das lyrische Ich weiter fortfährt. Die pausenlose Gestaltung wird auf der Textebene durch die Form der Kommatasetzung sichtbar, die verdichtete Satz-, und Versstruktur auch musikalisch hörbar.

Die Isotopie Zeit steckt ebenfalls in der „Zukunft“. In Strophe drei kommt dies besonders deutlich zum Ausdruck. Die direkt im nächsten Vers enthaltende Tempusveränderung von ‚war am Start’ zu ‚bin schon los’ offenbart einmal mehr das unaufhaltsame Streben Richtung Zukunft. Auch im alternativen Schluss verweist das lyrische Ich noch einmal explizit auf den Zusammenhang von Geschwindigkeit und Zukunft:
Ich erreiche Schallgeschwindigkeit und hol meine gesprochenen Worte ein./ Es reicht mir nicht zu einer Zeit immer nur an einem Ort zu sein./ [...]/ Es ist ein ungebremster Fall mit einer Schwerkraft Richtung Zukunft.
Das lyrische Ich scheint sich auf einer Zielgeraden „an unsichtbaren Seilen“ in „Richtung Zukunft“ zu bewegen, womit ich auf die vorletzte Isotopie verweisen möchte, die sich durch das Lied zieht: die Gleichförmigkeit. Auch diese Isotopie kommt bereits, wenn der technische Hintergrund dem Zuhörer bewusst ist, im Titel zum Ausdruck. Denn, wenn die Geschwindigkeit erst einmal per Knopfdruck eingestellt ist, wird sie durch den Tempomat gleichmäßig gehalten und beibehalten. Des Weiteren drückt sich die Gleichmäßigkeit bereits in der, die erste Großstrophe dominierenden, Tätigkeit des ‚Joggens’ als gleichförmige, zyklische Bewegung aus. Die zweite Großstrophe wird durch die Tätigkeit des ‚Fahrens’ dominiert, dass ebenfalls gleichförmig verläuft. Sie kommt vor allen Dingen in den Versen 21/22 zum Ausdruck: „Rechts und links rudern Windmühlen/ und wir haben Fahrtwind am Bug“. Sie kann direkt mit dem Bewegungs-Verb „rudern“, sowie dem Substantiv „Windmühlen“ assoziiert werden. Der durch die Konjunktion ‚und’ direkt angeschlossene „Fahrtwind am Bug“ wird ebenso mit einer Gleichförmigkeit assoziiert. Auch der neologistische (= Wortneuschöpfung) Schlagreim „Weißen-Streifen-Fieber“ enthält eine Gleichförmigkeit. Er kann mit den, auf dem Straßenbelag gleichförmig geschwind vorbeiziehenden, Fahrbahnmarkierungen assoziiert werden. Für das Adjektiv ‚konstant’ könnte ebenso ‚gleichförmig’ synonym verwendet werden. Die Isotopie Zeit kann auch mit der Gleichförmigkeit verknüpft werden. Ein Zeitempfinden ist relativ, der Lauf der Zeit, bspw. der Uhr- und Jahreszeit jedoch gleichförmig. Wenn das lyrische Ich von der personifizierten Zukunft fortgezogen wird und eigentlich schon dort ist, dann lebt es sein Leben nicht in der Gegenwart und verpasst dadurch die Spannungsmomente, die diese mit sich bringt. Dadurch wird letztlich das Leben des lyrischen Ichs gleichförmig. Auch auf der syntaktisch-semantischen Ebene spiegelt sich diese Gleichförmigkeit wieder. In der zweiten Großstrophe kommt diese in der Geminatio im Vers 24 sowohl auf der klanglichen als auch textlichen Ebene zum Ausdruck: „über Überführungen und unter Unterführungen durch“.

Auch die viermalige Wiederholung der, teilweise an den Alltag angelehnten, Anglizismen der Verse 25/26 schaffen Gleichförmigkeit. Die letzte zu erwähnende Isotopie ist die Technik. Auch diese ist bereits im Titel angelegt. Der Tempomat ist eine Erfindung des modernen, technisierten Zeitalters. Auch die Verben ‚programmieren’, ‚einstellen’, ‚verschrotten’ und ‚beamen’ haben einen technischen Bezug. Die Substantive „Countdown“, „Spur“, „Alarmleuchten“, „Fahrtwind“, „Pit-Stop“, „Lastwagen“, „Box“ und „Autopilot“ ebenso. Um „Schallgeschwindigkeit“ zu erreichen, bedarf es entsprechender technischer Hilfsmittel. Musikalisch wird das Lied von einem flächigen, flotten E-Gitarrensound dominiert, der in der Strophe in einen reduzierten, abgehakt-pointierten Groove überwechselt, um dann im Refrain erneut auf der Tempo- und Klangebene zu explodieren. Der spezifische Sound der E-Gitarre unterstützt thematisch einmal mehr den technischen Bezug, der ansonsten eher von klaren Akustikklängen dominierten Lieder. Die Isotopiestruktur verdeutlicht die Verinnerlicherung und Verankerung des Technisch-Maschinellen im lyrischen Ich. Es meint selbstständig und individuell zu handeln, wird jedoch im Grunde manipuliert und gesteuert.

Schon im ersten Vers wird deutlich, dass das lyrische Ich sich Normen unterwirft und fremdgesteuert agiert. Gefühle hingegen scheinen das Handeln des lyrischen Ichs gar nicht zu bestimmen. So ist es „draußen unterwegs“, weil dies gesund ist und nicht etwa, weil es schön ist. Es ist der „lächelnde Jogger“, dessen Lächeln jedoch paradox erscheint durch die „Fliegen im Mund“, die symbolisch eine zweifache Bedeutung haben. Unter anderem stehen Fliegen für „Krankheit“. Hierdurch erhält der Paarreim gesund und Mund eine konterkarierende Bedeutung. Die Fliegen im Mund durchkreuzen das Bild des gesunden, lächelnden Joggers. Im fernen Osten hingegen sind Fliegen ein Ausdruck für die rastlos schweifende Seele. Auch diese Bedeutung könnte mit dem lyrischen Ich in Verbindung gebracht werden. Die Rastlosigkeit kommt im ganzen Lied zum Ausdruck. So resümiert es, dass es keinen anderen „Sinn und Zweck [hat,] als die Vermeidung von Stillstand“. In der letzten Strophe bringt das lyrische Ich noch einmal distinktiv zum Ausdruck, worauf es ihm ankomme:
Es ist mir ganz egal, wohin und ob wir da schon waren./ Hauptsache schnell und Hauptsache fahren./ Noch ein Tunnel, noch ein Tal und noch ein Begleiter, / Hauptsache weiter!
In der dreifachen Wiederholung des Substantivs Hauptsache in Verbindung mit den Wörtern schnell, fahren und weiter kommt der Drang zur Fortbewegung deutlich zum Ausdruck. Hier offenbart sich auch die Abgestumpftheit des lyrischen
Ichs. Ihm ist alles egal. Es begegnet auf seinem Weg ‚Tunnel, ‚Tal’ und ‚Begleiter’. Durch das immer gleich verwendete vorgeschobene Adverb ‚noch’ und den unbestimmten Artikel ‚ein’ wirkt die Aufzählung monoton und gleichförmig. Der ‚Begleiter’ erscheint neben den alliterativ verbundenen Landschaftseindrücken im gleichen Vers, wobei der ‚Tunnel’ nicht weit, geschweige denn nach links oder rechts blicken lässt, ähnlich dem Tal, dass beim durchfahren nicht überblickt werden kann. Hierdurch wird eine gewisse Engstirnigkeit des lyrischen Ichs gestisch angedeutet wird.

Technologiekritik, eine der vier Tendenzen im Neomarxismus nach Mario Andreotti drückt sich meines Erachtens auch im Lied Tempomat aus: Sie richtet sich gegen die gigantischen Technologien, durch die Wirtschaft und Staat die Menschen beherrschen und manipulieren. Für die Neomarxisten funktioniert die spätkapitalistische Entfremdung des Menschen technokratisch. Danach erzeugt ein mächtiger, staats- und monokapitalistischer Apparat eine Konsum- und Überflussgesellschaft, in der die im Grunde unterprivilegierten Massen entmündigt und mit scheinbaren Wohlstand abgespeist werden. Die Kritik am Konsum ‚to go’ und an der Wegwerfgesellschaft durchzieht viele Lieder der Liedermacherin. In 'Immer die Anderen' werden „Super-Sonderangebote“ gesurft, Weihnachtsmänner für 29 Cent gekauft und ‚Zivilisation’ frei nach Mark Twain definiert als „die ständige Vermehrung unnötiger Notwendigkeiten“. Ebenso wird festgestellt, dass die Anderen Dinge kaufen, „die man nicht braucht, von Geld, dass man nicht hat, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag“.

Auch das Thema Ökonomisierung der Zeit wird nicht nur in Tempomat behandelt. In 'Die Funktionalisierer' bspw. werden die Zeitsparer parodiert, die „Belohner [des] lückenlosen Lebenslaufs“, die an die grauen Männer aus Michaels Endes Geschichte Momo erinnern. Das Lied kann im Sinne Andreottis als moderne Antiballade bezeichnet werden. Die moderne Antiballade, eine Form politischer Lyrik, ist als spezifisch gestische Lyrik zu begreifen. Die Handlungsweise des lyrischen Ichs schafft eine Distanz zur rezipierenden Person und macht Handlungsalternativen sichtbar. Diese werden jedoch vom lyrischen Ich selbst nicht wahrgenommen. Ebenso wenig hinterfragt es seine Situation. Nur ein einziges Mal deutet sich in der sprachlich distanzierten Äußerung zur Wirkung des Tempomats eine leise Kritik an: 
Der Tempomat bewirkt nichts, außer dass es nicht anhält,
/ weil es sonst- wer weiß- alles in sich zusammenfällt. 

Das Pronomen ‚es’ könnte abstrakt für das Gesellschaftssystem als Ganzes stehen, welches zusammenbräche, würde es nicht den Tempomat als konstante, die Gesellschaft vorantreibende Kraft geben. Der Begriff ‚Leistungsoptimierung’ könnte an dieser Stelle den Begriff ‚Tempomat’ ersetzen. In der darauffolgend beschriebenen hyperbolischen Konsumorientierung nimmt das lyrische Ich stellvertretend eine gesellschaftlich verankerte Grundhaltung ein. Das lyrische Ich wirkt wie eine Marionette. Es scheint sich gezwungenermaßen, durch den Tempomat gesteuert, in einer gleichmäßigen, konstanten Beschleunigung in Richtung Zukunft zu bewegen. Das lyrische Ich „funktioniert“ im Sinne eines kybernetischen Systems: Es scheint in sich abgeschlossen, selbstreguliert zu sein, gleichmäßig zu arbeiten und sich berechenbar in Richtung Zukunft zu bewegen. Es hat die Handlungsimperative der postmodernen Leistungsgesellschaft internalisiert und führt diese nun gleichsam automatisch aus. Eine direkte Disziplinierung von Außen ist nicht nötig, das lyrische Ich diszipliniert sich selbst.

Dadurch wird Kritik geübt an einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der durch die voranschreitende Technisierung eine permanente Beschleunigung und Leistungsoptimierung die Maße aller Dinge darstellen, in der kein Platz für Gefühle zu sein scheint, in der weder nach links noch nach rechts geschaut wird. Die Regelmäßigkeit ist alleiniges Ziel, daher wird eine notwendige Debatte über Handlungsziele nicht geführt. Der transportierte Inhalt korrespondiert mit der Form. Der Song stellt eine Parodie auf die Geschwindigkeit dar und ist im Grunde ein Plädoyer für die Langsamkeit und die Möglichkeit zur Kontemplation (= beschauliche Betrachtung). Nur ein einziges Mal drückt das lyrische Ich konkret einen Wunsch aus und wird dadurch menschlich fassbar. Es ist der Wunsch nach Stillstand, der im alternativen Schluss zum Ausdruck kommt: 
Und ich wünsche mir den Knall, der auf mich zukommt./ Dann kommt alles zum Stand./
Im freien Raum oder gegen die Wand.

'Tempomat' auf Youtube

Bin draußen unterwegs, denn das ist gesund.
Ich bin der lächelnde Jogger und habe Fliegen im Mund.
„Kennen wir uns nicht?“ fragt mich eine Frau mit Hund.
So weit ich sehen kann, völlig ohne Grund.

Tut mir Leid, ich kann nicht stehen bleiben, bitte aus dem Weg!
Ich muss zum Gehen treiben, wenn du dich mir in den Lauf stellst,
hüpf ich auf der Stelle, damit du siehst, dass du mich aufhälst.
Dalli, Dalli, Ruckzuck, auf allen Leitungen Druck,
Blut pocht und pulsiert, das Hirn kocht und vibriert.
Meine innere Uhr ist auf Countdown programmiert,
Ich bleibe immer in der Spur, egal was passiert.

Die Zukunft zieht mich fort an unsichtbaren Seilen,
ich bin eigentlich schon dort und muss mich immerfort beeilen,
damit ich nicht zurückfalle. Es ist ein schmaler Grat.
Doch ich kann es schaffen, ich bin auf Tempomat.

Ich bin auf Tempomat, war am Start, bin schon los.
Guten Tag. Gute Fahrt. Schönen Gruß zurück.
Alle Alarmleuchten springen auf Rot und ich fahr
noch ein Stück auf Autopilot.

Steig ein in den Wagen. Pollenflug.
Rechts und links rudern Windmühlen
und wir haben Fahrtwind am Bug.
Vorbei an Lastwagen, Raststätten, Rapsfeldern,
über Überführungen, unter Unterführungen durch.
Menü to go. Lektüre to go.
Abschied to go. Liebe to go.
Und Nachtisch zum Mitnehmen.

Alles tip-top, es riecht nach heißen Reifen.
Wieder Pit-Stop. Ich bin im Weißen-Streifen-Fieber,
höre Britpop. Mit dem Ohr an der Box, bis ich dös.
Ich brauch Benzin und dann Coffein intravenös.
Geschwindigkeit ist das, was mich auf den Beinen hält.
Ich bin auf konstante Beschleunigung eingestellt.
Strecke ist Zeit zum Quadrat.
Und ich- bin auf Tempomat.

Ich bin auf Tempomat. War am Start, bin schon los.
Guten Tag. Gute Fahrt. Schönen Gruß zurück.
Baby, halt dich gut fest, denn ich halt nicht mehr an, das ist das höchste Gebot.
Und wenn ich nicht mehr kann, schalt ich auf Autopilot.

Der Tempomat bewirkt nichts, außer dass es nicht anhält,
weil es sonst - wer weiß – alles in sich zusammenfällt.
Ich hab kein Gepäck, keinen Proviant,
keinen Sinn und Zweck als die Vermeidung von Stillstand.
Ich kann genauso schnell vergessen, wie ich lese,
kann genauso schnell verschrotten, wie ich kaufe.
Wenn ich genauso schnell laufe, wie die Erde sich dreht,
bleibt immer Tag und die Uhrzeit steht.

Es ist mir ganz egal, wohin und ob wir da schon waren.
Hauptsache schnell und Hauptsache fahren.
Noch ein Tunnel, noch ein Tal und noch ein Begleiter,
Hauptsache weiter!

Ich bin auf Tempomat, war am Start, bin schon los.
Guten Tag. Gute Fahrt. Schönen Gruß zurück.
Baby, halt dich gut fest, denn ich halt nicht mehr an, das ist das höchste Gebot.
Und wenn ich nicht mehr kann, schalt ich auf Autopilot.

Alternativer Schluss:
Ich erreiche Schallgeschwindigkeit und hol meine gesprochenen Worte ein.
Es reicht mir nicht zu einer Zeit immer nur an einem Ort zu sein.
Beam mich! Beam mich! Ich brauch keinen Fahrplan.
Der Planet ist zu klein. Und nur meine Startbahn.

Es ist ein ungebremster Fall mit einer Schwerkraft Richtung Zukunft.
Und ich wünsche mir den Knall, der auf mich zukommt.
Dann kommt alles zum Stand.
Im freien Raum oder gegen die Wand.

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