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Freitag, 21. November 2014

Fuck you Frontex

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Die allseits beachtete und polarisierende Aktion des Zentrums für Politische Schönheit mahnt uns zu einem Artikel über (mögliche) musikalische Umsetzungen des Themas. Außerdem kann sich die Tante Pop völlig rechtmäßig als Zentrum für Musikalische Schönheit betrachten.


Dagegen kann der olle Wolf Biermann als Protestsänger einpacken - beim nächsten Gedenkakt im Bundestag bitte Dirk von Lowtzow engagieren.

In meiner Sozialisation in jungen Jahren waren Bands wie Die Ärzte und Slime wichtig. Die beiden nenne ich, weil Lieder wie 'Schrei nach Liebe' und 'Schweineherbst' eingängig, eindeutig und prägend für ein suchendes, jugendliches Gemüt sind. Auf dem Album Schweineherbst fand sich nicht nur die gleichnamige fantastische Mitgröhlhymne, sondern auch als letztes Stück 'Goldene Türme'. Damals fand ich die These nicht falsch, aber abstrakt. Sehr viele Jahre später erinnere ich mich an das Lied und begreife, welche intellektuelle Glanzleistung es für Slime-Verhältnisse war und ist. Es klingt, als wäre es dieses Jahr aufgenommen wurden, so schmerzhaft wurde der Prozess der Abschottung von der Band bereits vor 20 Jahren beschrieben.

Wenn ich in jener musikalischen Sozialisation die Zeit um einige Jahre weiter drehe, fällt mir 'Wenn ich ein Turnschuh wär' von den Goldenen Zitronen ein. Es erschien 2006, und ist bis heute eines der treffendsten Werke zur europäischen Abschottung (für Menschen, nicht für Waren). Doch jene, und viele andere solcherlei Lieder, finden nicht außerhalb der überschaubaren Zielgruppe statt. Da in der Regel in den Gefilden zwischen Zuhörenden und Musizierenden kein (kaum ein) Dissens besteht, verpuffen die guten künstlerischen Leistungen auf sehr unbefriedigende Weise.



Das Zentrum für Politische Schönheit hat es geschafft, ihre künstlerische Arbeit am Thema mit dem 'Ersten Europäischen Mauerfall' in eine breite Öffentlichkeit zu transportieren. Der Vorwurf an die Aktion, auch keine konstruktiven Vorschläge zur Miesere zu machen, entspringt einem schwer erfüllbaren Anspruch an Kunst. Niemand hat eine unproblematische Lösung bei der Hand, erst recht keine einfache. Der Auftrag an die Kunstschaffenden (wie auch an alle anderen mit einer größeren Öffentlichkeit kommunizierenden Menschen) lautet vielmehr, überhaupt auf das Thema aufmerksam zu machen. Unter diesem Aspekt erscheint uns die Aktion geglückt und deshalb völlig gerechtfertigt.

Wie schon erwähnt, wird im musikalischen Sektor die Abschottung Europas seit vielen Jahren bearbeitet, aber leider nur von den üblichen Verdächtigen. Es wurden einige wirklich lohnenswerte Werke veröffentlicht, doch so treffend sie auch sein mögen – eine Breitenwirkung ist damit unmöglich. Je enger das Korsett von radiokonformer Popmusik ist, desto schwieriger lassen sich solche komplexe Themen in ein Lied pressen, ohne dass es belanglos oder idiotisch wird.

Es ist aber nicht unmöglich, wie sich vor 20 Jahren zeigte, als in Deutschland Pogrome wieder bis in weite Teile konservativer Kreise akzeptiert wurden. Damals gab es auch Reaktionen aus dem musikalischen Mainstream. Nicht viel, und meistens nicht gut, aber es wurde Stellung genommen, und sei es nur mit der Anwesenheit bei großen Kundgebungen. Wenn sich regelmäßig Leute wie Udo Lindenberg und Peter Maffay bei Veranstaltungen wie 'Rock gegen Rechts' zeigen, dann ist das ein wertvoller Beitrag. Außerdem bin ich der Meinung, dass Werke wie 'Schrei nach Liebe' durchaus ein Wirkung hatten und haben. Dieses Lied beispielsweise wird einerseits vielen ansonsten am Thema desinteressierten Menschen untergeschoben, andererseits bietet es in der jungen Zielgruppe (die wundersamerweise bei der Band ständig nachwächst) eine wichtige Orientierung in einem Lebensabschnitt, in welchem die Empfänglichkeit für simple, zweifelhafte Botschaften besonders hoch ist. Ungeachtet der künstlerischen Dimensionen, haben auf diese Weise über die letzten zwei Jahrzehnte Leute wie BAP, Herbert Grönemeyer, Sportfreunde Stiller und Rammstein immerhin eine klare Position bezogen. Es fällt auf, die in solchen Aufzählungen genannten Kunstschaffenden sind immer jene, die es sich aufgrund ihrer Kernklientel und erspielten Integrität leisten können, oder sogar sollten, politisch Stellung zu nehmen.

Die politische Konsequenz aus den Pogromen in den 90ern war bekanntlich die faktische Abschaffung des Asylrechts (unter Mitwirkung der SPD) im Jahr 1993, sowie im weiteren Verlauf die unwürdigen Dublin-Regelungen. Genau diese führen uns zur gegenwärtigen, menschenverachtenden Situation. Wenn Europa sich aus Angst vor Zuwanderung in eine der bestbewachtesten Festungen der Welt entwickelt, sollte das eigentlich alle Insassen dieser Festung alarmieren. Blöderweise geht die Existenz dieser Grenze, die bisher grob geschätzt 20000 Menschen das Leben kostete, den meisten EuropäerInnen entweder am Arsch vorbei, oder sie halten das auch noch für eine gute Idee. Deshalb ist es so wichtig auf das Thema überhaupt erst einmal aufmerksam zu machen. Erst wenn es in einem Großteil der Köpfe präsent ist, sind die grausamen Auswirkungen nicht mehr so einfach verdrängbar. Das Zentrum für Politische Schönheit ist mit bestem Beispiel voran gegangen, und ich finde es sollten sich gerade auch KünstlerInnen aus dem mainstreamigsten Mainstream fragen, ob sie nicht eine Verantwortung haben. Wenn Bands wie BAP Stellung nehmen (würden), ist das gut, keine Frage. Aber das Zentrum zeigte, dass man mit der Diskussion in die breite Öffentlichkeit muss, um das Thema aus der Nische zu holen.

Auch wenn der Eindruck bisweilen täuscht, aber die wirklich breite Öffentlichkeit ist woanders zu Hause, nicht bei BAP und nicht bei den Toten Hosen. Ja, es ist die schlichte Wohlfühlmusik, zu der man immer auf 1 und 3 klatschen kann. Würde man diese Masse erreichen wollen, muss man dahin gehen, wo es weh tut. Helene Fischer. Ja, das klingt jetzt genauso spinnert wie es ist, aber ich finde das Gedankenexperiment sehr anregend. Man stelle sich vor, Helene Fischer, deren Großeltern laut Wikipedia 1941 nach Sibirien deportiert wurden, und die mit ihren Eltern 1988 von dort nach Rheinland-Pfalz immigrierte, würde eine tiefgehende Empathie für die Situation der Flüchtlinge vor Europas Grenzen entwickeln. Sie könnte sich fähige(re) Texter suchen, die den zugegebenermaßen schwierigen Auftrag bekämen ein Lied zu komponieren, welches zwar ins Schema der schlichten Eingängigkeit passt, aber rudimentär die Botschaft der Offenheit und Nächstenliebe gegenüber Flüchtlingen transportiert. Oder wie wäre es mit einem Hans Albers-Cover, entliehen aus einem NS-Propagandafilm von 1933? Das wäre gleich doppelt perfide.

Natürlich wird sie es nicht machen, aus verschiedensten Gründen, aber es würde traurigerweise mehr bewirken als 1000 Punkkonzerte. Da wir davon ausgehen müssen, dass das nicht geschehen wird, bleibt nur durch clevere, 'kontroverse' künstlerische Aktionen für jene Öffentlichkeit zu sorgen. Christoph Schlingensief lebt nicht mehr, und in Talkshows die Axt raus zu holen bringt es nicht mehr (das gäbe nur eine ungerechtfertigt gute Quote für Jauch & Co). Alle sind gefragt, wie wir die uns zur Verfügung stehenden Chancen zur wirkungsvollen Öffentlichkeitsarbeit nutzen.

Abrufstatistik zu Ingo Krüger bei Wikipedia © Zentrum für Politische Schönheit 2014

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