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Mittwoch, 24. Dezember 2014

Klaus Miehling: Gewaltmusik - Musikgewalt. Populäre Musik und die Folgen

2 Kommentare :
Üblicherweise beschäftigen wir uns mit dem gesungenen Wort, aber an dieser Stelle machen wir eine seltene Ausnahme und nehmen uns das auf 623 Seiten (plus Anhang) gedruckte Wort vor.

Erschienen ist dieses Standardwerk des Pazifismus bereits 2006, und es wurde seitdem ausschweifend darüber berichtet, doch nach über acht Jahren der Internetschelten seitens gewaltbereiter U-Musikhörer*innen haben wir beschlossen es selbst in die Hand zu nehmen, um indoktrinierten Gewaltmusikhörern nicht auf den Leim zu gehen. Spätestens seit 'Mein Kampf' wissen wir alle – nur selbst lesen ist wirklich erhellend.

Schon im Vorwort wird klar, wie sehr wir die Augen vor dem Offensichtlichen verschließen. Es wird aufgedeckt, dass der Amokläufer in Erfurt im Jahr 2002 nicht nur Gewaltcomputerspiele spielte, sondern auch Gewaltmusik hörte - ein von den Mainstreammedien unter den Tisch gekehrter Umstand. Es handelt sich nicht um die normale Gebrauchsgewaltmusik, wie etwa The Beatles oder Simon & Garfunkel, sondern Bands wie Slipknot und System of a Down. Die Gewalt kann nicht auf einen Stil beschränkt werden, denn „sie [die Stile] appellieren an die niedersten Triebe und Instinkte in uns, sie führen zu Kriminalität und Gewalt, aber auch zu Leistungsverweigerung und Enthemmung“ (S.12). Da Gewaltmusik stilübergreifend in unsere Gehörgänge dringt, ob wir wollen oder nicht, hat Miehling ein paar praktische Kriterien entworfen woran wir schädliche Gewaltmusik erkennen. Besonders aggressiv machen Schlagzeug (Schläge, Schusswaffen, Explosionen), verzerrte Klänge (Krankheit, Schmerzen), sowie eine aggressive Singstimme. Achten müssen wir auch auf Betonungen gegen das Metrum, Synkopen, Dissonanzen, unsaubere Intonation und generell hohe Lautstärke (S.16).

Sicherlich haben an dieser Stelle alle verschiedene Bands vor Augen, welche den Kriterien besonders gut entsprechen. Um die jeweiligen Bands einordnen zu können, hat Miehling in mühevollster Kleinstarbeit so genannte 'Künstler' der U-Musik zusammengetragen und durch Zitate aus Interviews und Texten herausgearbeitet, woran man bei ihnen zweifelhafte Moral, Hedonismus, Vulgarität, Leistungsverweigerung, Sex, Wahnsinn, Satanismus, Blasphemie, Anarchie, kriminelle Energie, Drogenmissbrauch, Vermögensdelikte, Lügen, Betrug, Bestechung, Aggression und Gewalt erkennt. Diese Übersicht mit einem Umfang von 300 Seiten ist nicht gerade handlich, bietet aber einen sehr ausführlichen Leitfaden, falls man sich genannten Problematiken in Liedtexten nicht aussetzen möchte. Besonders fragwürdige Musiker, welche bereits durch Straftaten aufgefallen sind, werden auf 30 Seiten gesondert gelistet. Ohne diese Übersicht wüsste ich nicht, dass Joan Baez mal wegen Nötigung verurteilt wurde, Bob Dylan wegen Missachtung des Rauchverbotes 'Kontakt mit der Polizei' hatte, oder Art Garfunkel mal zu schnell gefahren ist (S. 37ff).

Zur Klärung der Frage, warum Gewaltmusik trotz der offensichtlichen Schädlichkeit so präsent ist, bietet er vor allem die Allgegenwart des Ideals der Jugendlichkeit in der Öffentlichkeit an, und genau jene sind besonders anfällig für eben diese Musik. Der Gewaltmusik eigen sei außerdem eine in ihr angelegte Rücksichtslosigkeit, sodass sie einem immer und überall aufgedrängt würde, doch auch die Klassik-Hörer tragen eine Mitschuld: „Dieser der Gewaltmusik- bzw. Den Gewaltmusikhörern eigene Faktor der Rücksichtslosigkeit wird noch dadurch verstärkt, daß Klassik-Hörer mit ihrer im allgemeinen zurückhaltenden Persönlichkeit sich selten über aufgezwungene Musikbeschallung beschweren („man kann ja doch nichts machen“, „ich will keinen Ärger bekommen“), so daß auch dadurch der Eindruck entsteht, die Akzeptanz sei größer als sie tatsächlich ist“ (S.365).

Wir schließen daraus, dass es auch an den Klassik-Hörern wäre zu rebellieren und einen Aufstand gegen die Zwangsbeschallung zu wagen, doch scheint es nicht dem inneren Wesen des gemeinen Klassik-Hörers zu entsprechen. Dieses ist nobel und rein, was sie zu unser aller Vorbilder machen sollte. Der Beliebtheit von Gewaltmusik können sie freilich kaum entscheidet entgegenwirken, denn jene ist auch bestimmt durch Drogenkonsum, der Gewöhnung schon im Mutterleib, dem genetischen Erbe, sowie dem Trauma des Nationalsozialismus (S.367f).

Nun mag der ein oder andere so sehr von Gewaltmusik verdorben sein, dass auch eine noch so stringente Argumentation wie die von Herrn Miehling ins Leere läuft. Hierzu bietet er einen Empirie-Teil, der mit zahlreichen glasklaren Beispielen aufwartet, wie „Ein Jugendlicher, der mit 16 Jahren in eine psychatrische Klinik kam, nannte Heavy-Metal-Konsum und seine Straftaten in einem Atemzug“ (S.401). Ein weiterer Teil der Empirie sind beispielsweise Pflanzenexperimente, in denen der schädliche Einfluss von Jimi Hendrix, und dem gegenüber der günstige Einfluss von Orgelmusik von Johann Sebastian Bach auf das Pflanzenwachstum nachgewiesen wurde (S.403).

Die Daten des Empirie-Teils belegen laut Miehling eindeutig den schädlichen Einfluss, z.B. „Rock- und Heavy-Metal-Anhänger zeigen eine geringe Bereitschaft zu kognitiver Anstrengung, neigen zu Machismus, Machiavellismus, männlicher Hypersexualität, Drogen, Okkultismus, Satanismus, antisozialen Einstellungen und Verhaltensweisen“ (S.414). Als Politikwissenschaftler finde ich, insbesondere der Hang zum Machiavellismus sollte von meinem Metier kritisch unter jenem Aspekt untersucht werden. Diese Art der Verbreitung hat Machiavelli sicherlich nicht im Sinn gehabt.

Die Verbreitung der Gewalt erfolgt nicht nur durch die anfangs erwähnten musikalischen Merkmale, sondern natürlich auch durch die Inhalte der Texte. Bei der Aufzählung einiger prägnanter Beispiele leistet sich Miehling kleine Schwächen. Dass ein Lied von Slime den Die Ärzte zugesprochen wird, fällt sicher nur dem Gewaltmusikdauerkonsumenten auf. Allerdings ist der einzige Textausschnitt, der in dieser Aufzählung von Rio Reiser zitiert wurde, aus dem Lied 'Feierabend' von Ton Steine Scherben. Als Kenner der Krawallszene muss ich sagen, es gibt weitaus bessere Beispiele bei dieser erstaunlicherweise nicht machiavellistischen Band zu finden. Eindeutig ist hingegen eine Zeile von The Smiths: „Hängt den Plattenaufleger auf!“ (S.424)

Die gesundheitlichen Folgen der Gewaltmusik werden ebenfalls ausführlich beleuchtet. Dabei handelt es sich nicht nur um bekannte Folgeschäden wie Schwerhörigkeit und Denkblockaden, sondern etwa auch Schädigungen durch mangelnde Sauerstoffzufuhr in Diskotheken, sowie Augenschäden durch Druckwellen, bis hin zur Erblindung (S.448. Miehling zitiert: Hörzu 40/1994, S.12). Auch bei durch Musik ausgelöster Epilepsie gibt es deutliche Hinweise: „Als man unter Versuchsbedingungen einen Anfall herbeiführen wollte, gelang das mit klassischer Musik nicht, wohl aber mit dem Titel 'I Think I'm Gonna Fall in Love With You' von den Dooleys“ (S.448). In diesem Kapitel lernen wir, wie Gewaltmusik in allen erdenklichen Lebensbereichen Schaden anrichtet, so auch unter anderem bei Gewaltakten, die nur mittelbar mit der Gewaltmusik verbunden sind, wie „Lärmopfer, die nach ihrer Beschwerde von Ruhestörern verletzt/ermordet werden,“ bzw. „Ruhestörer, die von Lärmopfern verletzt/ermordet werden“ (S.460).


VORSICHT! Folgendes Video ist nur zu Anschauungszwecken verlinkt und kann Epilepsie verursachen!

Miehling beschreibt den religiösen Charakter der Gewaltmusik, und als Religion hat sie wie andere Religionen auch die Eigenschaft Leute zu manipulieren, zu indoktrinieren, und zu Gewalt und Krieg anzustacheln. Die Zwangsbeschallung durch Nachbarn, Walkman-tragende Jugendliche, in der Gastronomie, beim Einkaufen, am Arbeitsplatz, im Radio, im Fernsehen, beim Sport etc. (S. 470-490) macht diese Religion allgegenwärtig (für mich vergleichbar nur mit dem stündlichen Glockenläuten in unseren Gefilden). Es sei ein Skandal, dass diese Indoktrination auch noch durch Feste staatlich gefördert wird (S. 490-497), denn die Liste der Opfer von Gewaltmusik ist lang (siehe Aufzählung S.498-526).

Damit das Abendland nicht untergeht, müssen tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen bezüglich des Konsums von Gewaltmusik geschehen. Miehling zufolge müssten die bestehenden Gesetze strenger ausgelegt und durchgesetzt werden (S.530). Nicht nur zur Verteidigung beispielsweise gegen den dadurch raumgreifenden Machiavellismus, sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass Gewaltmusik der Einstieg in die Kriminalität sein kann: „Spätestens seit den 90er Jahren ist bekannt, daß Ordnungswidrigkeiten und sogenannte Bagatelldelikte schwere Delikte nach sich ziehen. […] Die Bekämpfung von Ruhestörungen im allgemeinen und von Gewaltmusiklärm im besonderen ist also, über die unmittelbare Hilfe für die Belästigten hinaus, ein Schritt zu einer friedlicheren und ehrlicheren Gesellschaft (S.530f).“ Die Handhabe wird auf den folgenden 45 Seiten mitgeliefert, welche sämtliche rechtlichen Möglichkeiten beschreiben. Miehling stellt allerdings fest, dass die Behörden nach nationalsozialistischem Prinzip selbst Komplizen der Ruhestörer seien, weil oftmals das „vermeintliche öffentliche Interesse“ Vorrang bekomme (S.578). Dass es auch anders ginge zeigten Positivbeispiele, wie das Wirken der BPjM, oder mit Blick auf andere, beispielsweise streng muslimische Länder wie Malaysia (Heavy Metal seit 2001 in Radio und Fernsehen verboten) und der Iran (Tanzen und Mitsingen verboten) (S.595).

Diese Maßnahmen wäre aber nicht ausreichend. Miehling schlägt eine Einteilung von Musik nach Schadensklassen vor, die eine teilweise oder komplette Indizierung nach sich ziehen. Außerdem sei Besteuerung von Gewaltmusik ein geeignetes Mittel, da sie in ihrer Schädlichkeit mit Alkohol und Tabak vergleichbar sei (S.612). Es müssten Quoten für Radio und Fernsehen eingeführt werden, bzw. U-Musiksender zu E-Musiksender umgewandelt werden, oder sogar Sender wie MTV ganz verboten werden, denn „man denke nur an die positiven Effekte, die der Entzug des Musiksenders MTV auf Patienten der forensischen klinischen Abteilung ausübte“ (ebenda). Auch „die Werbung für Gewaltmusiktonträger und -konzerte muß wie Tabakwerbung eingeschränkt oder verboten werden“ (S.613).

Er gibt zahlreiche Tipps, wie auch der einzelne Leidtragende die Welt zu einem besseren Ort machen kann, etwa mit Beschwerden an den richtigen Stellen: „Wenn ein Busfahrer Radio hört, egal, ob es im Fahrgastraum zu vernehmen ist oder nicht, verstößt er gegen §8 Abs. 3 Nr. 4 der BO Kraft – es sei denn, er hätte eine Ausnahmegenehmigung (hat er höchstwahrscheinlich nicht!). Melden Sie diesen Verstoß dem zuständigen Verkehrsministerium oder Regierungspräsidium“ (S.616)!

Unsere kurze Zusammenfassung kann auf keinen Fall die Lektüre des kompletten Wälzers ersetzen, denn das ganze Ausmaß wird nur auf den über 600 Seiten deutlich. Für einen solch ausführlichen Leitfaden zum Umgang mit Gewaltmusik und für eine friedlichere Welt sind die 98€ Anschaffungskosten recht günstig.

Wir finden, im Kampf gegen Hass, Vulgarität und Lügen wäre es angebracht die PEGIDA-Demos mit klassischer Musik zu beschallen, um die finsteren Gedanken aus den Köpfen dieser mit Gewaltmusik geschädigten Menschen zu bekommen und so dem friedlichen Miteinander ein Stück näher zu kommen. Vielleicht wäre es auch eine Option, Miehlings Texte mit Gewaltmusik zu vertonen, um sie auf diese Weise den moralisch verdorbenen Menschen geschickt unterzuschieben, damit sie von den satanischen Tönen ablassen und zur E-Musik konvertieren.

Wir bei der Tante Pop haben es leider noch nicht geschafft von der Gewaltmusik abzulassen, nehmen aber wöchentlich am Treffen der Anonymen Gewaltmusiksüchtigen teil und hoffen, eines Tages von unserer zweifelhaften Moral, dem Hedonismus, der Vulgarität, der Leistungsverweigerung, dem Sex, dem Wahnsinn, dem Satanismus, der Blasphemie, der Anarchie, der kriminellen Energie, dem Drogenmissbrauch, der Vermögensdelikte, der Lügen, dem Betrug, der Bestechung, der Aggression und der Gewalt befreit zu sein.

2 Kommentare :

  1. Haha, sehr gut! Herr Miehling hat diesen Artikel selbstverständlich umgehend auf seiner "Gewaltmusik"-Facebookseite verlinkt. Man kann wohl davon ausgehen, dass er nicht dazu in der Lage ist, die satirische Intention dieses Artikels zu erkennen ... ;-)

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  2. Noch ein Lese-Tipp: Auf der Seite der Autoren-Community "Pagewizz" befinden sich ein paar höchst unterhaltsame Artikel von Herrn Miehling, beispielsweise sein von ihm als Warnung an unseren Nachwuchs gedachter Aufsatz "Was macht Musik mit uns?" in dem er in einem anbiedernden Netter-Onkel-Tonfall (wohl inspiriert von TV-Sendungen wie "Löwenzahn" oder der grossartigen "Sendung mit der Maus") die Kids über die vermeintlichen Gefahren von Popularmusik aufzuklären versucht. Einfach "Klaus Miehling Pagewizz" googeln - lesen, kopfschütteln und lachen!

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